Weich und doch stabil

Materialforschung für bessere Implantate und Krebstherapien

Potsdamer Neueste Nachrichten vom 2.7.03
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Was haben ein Knochen, ein Baumstamm und der Eiffelturm gemeinsam? Sie brechen nur bei extrem hohen Belastungen. Während der Eiffelturm aber ein Festkörper ist, bestehen Knochen und Baumstamm mehrheitlich aus weicher Materie, etwas verstärkt mit hartem Material. Dass sie dennoch nur schwer kaputt gehen, liegt an ihrer Struktur. Auch Polymere zählen zur weichen Materie, die als Zahnpasta, Ketchup, Dispersionsfarbe aus unserem Alltag nicht weg zu denken sind.

Kürzlich tauschten zum zweiten Mal Materialwissenschaftler und Biophysiker am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung (MPIKG) in Golm mit ihren Kollegen von der Universität von Pennsylvania (USA) neueste Erkenntnisse über die sogenannten "soft matters" aus. Dr. Ulrich Schwarz, Mitorganisator des Symposiums und Nachwuchsgruppenleiter am MPIKG beschäftigt sich mit der theoretischen Seite der weichen Materie. Sein Team untersucht das Verhalten von Zellen in unterschiedlicher Umgebung. Während sich die Zellbiologen eher mit der Chemie der Zellen befassen, untersuchen die Materialwissenschaftler die Reaktion der Zellen auf physikalische Eigenschaften der Umgebung. "Wie muss die Umgebung beschaffen sein, damit sich eine Zelle so verhält, wie sie soll", fragt Ullrich Schwarz. Zellen bevorzugen eine weiche Umgebung für ein normales Verhalten - eine wichtige Erkenntnis für die Herstellung von Knochenimplantaten und künstlichen Geweben. So sollten künftig Materialien, die implantiert werden, eine den Körperzellen angenehm weiche Oberfläche aufweisen. Sie würden dann nicht mehr so leicht abgestoßen werden.

Auch in der Krebstherapieforschung sind große Fortschritte erzielt worden. So hat ein Team um Prof. Josef Käs von der Universität Leipzig eine neue Methode zur Krebsdiagnose entwickelt. Für das patentierte Verfahren müssen, etwa bei Verdacht auf Brustkrebs, der Patientin nur ein paar Zellen entnommen werden. An der Zellstabilität kann dann festgestellt werden, ob Krebszellen vorhanden sind und in welchem Stadium sie sich befinden. Für die Therapiewahl ein wesentlicher Fortschritt.

Der Kombination aus Hart und Weich nimmt sich ab Juli am Golmer Institut die neue Abteilung "Biomaterialien" an. Unter der Leitung von Prof. Peter Fratzl wird die Grundlagenforschung um die Biomimetik erweitert: Erkenntnisse aus der Biologie sollen in technische Anwendungen umgesetzt werden. Ein Beispiel: Knochen bestehen in erster Linie aus Kollagen, also weicher Materie, verstärkt durch hartes Kalziumphosphat. Wegen ihrer besonderen Struktur sind sie extrem stabil. Künftig sollen der spezifische Aufbau solcher natürlichen weichen Materialien genauer erforscht und deren besonderen Organisationseigenschaften technisch umgesetzt werden, so dass neue Materialien entstehen. Wird hierbei Hartes und Weiches kombiniert, entstehen so genannte Komposite, "deren Eigenschaften besser sind als die der Einzelteile", erläutert Schwarz.

Zu Gast auf dem Golmer Symposium war auch Prof. Helmut Ringsdorf, einer der wichtigsten Polymerforscher Deutschlands. Schon in den Siebziger Jahren hatte er die großartige Idee, künstliche Polymere zu nutzen, um Tumorzellen, beziehungsweise deren Metastasen, zu töten. Ringsdorf und seine Kollegin Prof. Ruth Duncan von der London School of Pharmacy untersuchten die Eigenschaften von Biopolymeren wie Eiweiß und übertrugen diese auf die künstlichen Polymere. Sie interessierte, wie Zellen gezielt abgetötet werden können. Tumore und deren Metastasen wachsen schnell, zu schnell, und sie machen dabei Fehler: Ihre Versorgungsleitungen, die Arterien, werden löchrig. Bestimmte Polymere dringen durch die Löcher in die Tumore ein. Mit Hilfe der Polymere können kleine Metastasen gefunden werden. Hängt man an die Polymere ein Antitumormittel an, kann der Tumor von innen heraus zerstört werden. Klinische Testphasen hierzu sind bereits angelaufen.

Kerstin Koch