Wir erinnern an das in Kapitel 1 besprochene empirische Verfahren der Physik und betrachten den einfachsten, aber häufigen Fall: In einem Experiment werde die Abhängigkeit zweier physikalischer Größen von einander untersucht: " als Funktion von
" oder
: Dabei wird die eine Größe
, unabhängige Variable genannt, messbar verändert und die zweite Größe
, die abhängige Variable, jeweils gemessen. Man mag sich die Messapparatur wie im beigefügten Bild als schwarzen Kasten vorstellen, in den die
als Input eingegeben werden und aus dem die zugehörigen
als Output herauskommen.
Bild 4.1: Funktion als schwarzer Kasten mit als In- und
als Output
Die Physiker denken dabei z.B. an einen elektrischen Stromkreis, bei dem die angelegte Spannung an einem Potentiometer schrittweise verändert und mit einem Drehspulgalvanometer die jeweilige Stromstärke gemessen wird, um die Kennlinie zu erforschen. Aber auch der zeitliche Verlauf des Ausschlags eines Pendels oder die radioaktiv zerfallende Stoffmenge als Funktion der Zerfallszeit sind weitere aus der Vielzahl von physikalischen Beispielen.
Das Resultat einer solchen Messreihe ist zunächst eine Wertetabelle . Die Daten können auch in einer graphischen Darstellung veranschaulicht werden, wie unten im Bild an Beispielen gezeigt. Die Veranschaulichung der Funktionen als Schaubild, von uns meist Graph genannt, durch Eintragen der Wertetabelle in ein ebenes kartesisches ( d.h. rechtwinkliges ) Koordinatensystem mit der Abszisse
auf der 1-Achse und der Ordinate
auf der 2-Achse ist für die Physiker selbstverständlich.
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2) In der Feder gespeicherte potentielle Energie gemssen in mJ in Abhängigkeit von der Auslenkung
in cm,
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3) Auslenkung der Spiralfeder gemesse in cm in Abhängigkeit von der Zeit
in
,
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4) Schwingungsdauer der Spiralfeder
in
als Funktion der Masse
in g bei unveränderter
Federkonstante
,
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5) Schwingungsdauer der
Spiralfeder in
als Funktion der
Richtkraft
gemessen in
bei unveränderter Masse
.
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Wenn man sich über die unvermeidlichen Meßfehler Rechenschaft gegeben hat, kann man daran gehen, die Meßwerte durch eine Kurve zu verbinden bzw. eine mathematische Rechenvorschrift, d.h. Funktion zu suchen, die die Abhängigkeit der beiden Größen beschreibt. Gelingt es, eine solche Funktion zu finden, hat das viele Vorteile: Eine mathematische Formel ist meist kurz und übersichtlich; sie kann viel leichter als umfangreiche Wertetabellen gestapelt, weiterverarbeitet und anderen Interessenten mitgeteilt werden. Mit ihrer Hilfe kann auch genauer zwischen den Meßwerten interpoliert und über den untersuchten Bereich hinaus extrapoliert werden, was wieder neue Experimente anregt. Endlich ist sie der erste Schritt zu einer Theorie und damit zum Verständnis des Experiments.
Wir müssen uns also aus physikalischen Gründen mit Funktionen befassen, und zwar zunächst mit reellen Funktionen einer reellen Variablen.
Mathematisch kann eine Funktion betrachtet werden als eindeutige Abbildung
eines Punktes aus einem Bereichs
, dem "Definitionsbereichs" von
, der unabhängigen Variablen
( auch Abszisse oder Argument genannt ) auf einen Punkt
aus dem Bereich
, dem "Wertevorrat" von
, der abhängigen Variablen
( auch Ordinate oder Funktionswert genannt ).
Während die Angabe des Definitionsbereichs neben der Abbildungsvorschrift für eine Funktion unbedingt erforderlich ist und oft über die Eigenschaften der Funktion entscheidet, ist die genaue Angabe des Wertevorrats meist von geringerer Wichtigkeit und erfordert manchmal einige Mühe.
Bild 4.3: Funktion f als Abbildung des Definitionsbereichs Df in den Wertevorrat Wf mit zwei Pfeilen, die von zwei Urbildpunkten zu einem Bildpunkt führen.
Die Urbildmenge ist meist ebenso wie die Bildmenge
ein Stück der reellen Zahlengeraden
. Die ausdrücklich in die Definition der reellen Funktionen mit einbezogene Eindeutigkeit bedeutet, dass es zu jedem
ein und nur ein
gibt. ( Es ist allerdings ohne weiteres möglich, dass zwei verschiedene Urbildpunkte in ein und denselben Bildpunkt abgebildet werden. ) In mathematischer Kurzschrift zusammengefaßt:
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Das Rechnen mit reellen Funktionen einer reellen Variablen erfolgt nach den Regeln des Körpers mit den beiden Kommutativen und Assoziativen Gesetzen sowie dem verbindenden Distributivgesetz, die wir im Kapitel 2 bei den Zahlen zusammengestellt haben: Z.B. ergibt die Summe bzw. Differenz zweier reeller Funktionen
eine neue reelle Funktion, das reelle Vielfache
mit
ebenfalls und analog das Produkt
oder, falls
im gesamten Definitionsbereich, auch der Quotient
.