Zunächst betrachten wir wie früher die Potenzen mit natürlichen Exponenten
:
wobei wir zum Schluß die Euler-Formel verwendet und so deren Erweiterung erhalten haben: die
Moivre-Formel: |
Das bedeutet für den
und für das
Wir wollen zwei Beispiele genauer diskutieren:
1) Als erstes Beispiel wählen wir die Quadrat-Funktion, d.h. :
d.h. für den Realteil: und den Imaginärteil:
bzw. für den Betrag: und für das Argument:
.
Zunächst berechnen wir einige Bildpunkte:
Dann betrachten wir die senkrechte Gerade und
. Daraus folgt
, also
, d.h. die Gleichung einer nach links offenen Parabel.
Analog zeigt man, dass die waagrechte Gerade in die nach rechts offene Parabel
übergeht.
Der Einheitskreis geht offenbar bei der Quadrat-Abbildung in sich über:
.
Aus sieht man, dass die Hyperbeln mit den Winkelhalbierenden als Asymptoten in senkrechte Geraden und aus
, dass die Hyperbeln mit den Achsen als Asymptoten in waagrechte Geraden übergehen.
Das folgende Bild vermittelt einen Überblick über die gesamte Abbildung. Dabei ist bei der Urbild-Ebene die linke Hälfte weggelassen, da das Bild der rechten Hälfte allein schon die ganze w-Ebene überdeckt.
Bild 8.9: Rechte Hälfte der z- und gesamte obere w-Ebene der Quadrat-Funktion
Man kann sich die Abbildung etwa folgendermaßen zustandegekommen vorstellen: man denke sich
die z-Ebene aus Gummifolie bestehend und klappe die positive und die negative imaginäre Halbachse
um den Ursprung um
nach links in die negative reelle Achse, bis sie sich treffen.
Die Bilder der linken Hälfte der Gaußschen z-Ebene ergeben eine zweite Überdeckung
der ganzen w-Ebene, ähnlich wie auch schon bei der reellen Quadrat-Funktion das Bild der
negativen Urbild-Halbgeraden die positive Bild-Halbgerade ein zweites Mal überdeckte, weshalb
die Wurzel-Funktion nur über der positiven Halbgerade definiert werden konnte. Um hier bei der
komplexen Quadrat-Funktion eine Umkehrfunktion über der ganzen Ebene zu ermöglichen,
schneiden die Mathematiker die beiden übereinander liegend gedachten Bild-Ebenen (z.B. entlang der
negativen reellen Achse) auf und verbinden das obere Ufer des Schnittes im oberen Blatt mit dem
unteren Ufer im unteren Blatt und denken sich auch das untere Ufer des oberen Blattes "durch die
andere Verbindung hindurch" mit dem oberen Ufer des unteren Blattes verklebt. Das ganze Gebilde
aus den zwei kreuzweise entlang der negativen reellen Achse verbundenen Ebenen nennt man eine
Riemannsche Fläche mit zwei Blättern, so dass man sagen kann: die komplexe Quadrat-Funktion
bildet die z-Ebene umkehrbar eindeutig auf eine zweiblättrige Riemannsche Fläche ab, wobei die
spezielle Lage des Schnittes willkürlich ist; entscheidend ist nur, dass er zwischen den beiden
Verzweigungspunkten
und
verläuft. Die nächste Abbildung versucht diesen Sachverhalt anschaulich darzustellen.
Bild 8.10: Riemannfläche der Quadrat-Funktion
Bei der Bewegung eines Massenpunkts z.B. auf dem Einheitskreis in der z-Ebene beginnend im Punkt läuft auch der Bildpunkt
auf dem Einheitskreis in der oberen w-Ebene, jedoch doppelt so schnell, bis er bei
, d.h.
in das untere Blatt der Riemannschen w-Fläche abtaucht. Er läuft dann auf dem Einheitskreis im unteren Blatt weiter, befindet sich für
bei
im unteren Blatt und taucht erst für
wieder an der Abtauchstelle
auf dem oberen Blatt auf, um schließlich auf dem oberen Einheitskreis für
den Ausgangspunkt
wieder zu erreichen.
2) Ein ähnliches Bild erhält man für die kubische Funktion mit :
d.h. für den Betrag: ,
und für das Argument: .
Wir berechnen nur einige Bildpunkte:
Man erkennt, dass ein Drittel der z-Ebene bereits auf die ganze w-Ebene, die ganze Urbild-Ebene also auf eine Riemann-Fläche bestehend aus drei zwischen und
aufgeschnitten und miteinander verbundenen Blättern abgebildet wird. Die folgende Abbildung skizziert die Situation:
Bild 8.11: Ein Drittel der z-Ebene und oberes Blatt der w-Ebene für
In dieser Art fortfahrend erhält man einen Überblick über alle Potenz-Funktionen . Jeweils wird ein n-tel der z-Ebene auf die ganze w-Ebene bzw. die ganze z-Ebene umkehrbar eindeutig auf eine n-blättrige Riemann-Fläche abgebildet. Wenigstens im Prinzip ergibt das ein Bild von der Wirkungsweise der komplexen Polynome:
.
Für jedes derartiges Polynom m-ten Grades garantiert der Fundamentalsatz der Algebra im Komplexen die Existenz von komplexen Zahlen
, so dass die Summe als Produkt mit
Faktoren:
dargestellt werden kann:
Fundamentalsatz der Algebra: |
Aufgabe 8.8: Zum Fundamentalsatz der Algebra Zeigen Sie mit Hilfe des Fundamentalsatzes der Algebra, dass für die Summe bzw. das Produkt der |
Von den komplexen unendlichen Potenzreihen , die die Mathematiker auch "ganze Funktionen" nennen, berichten wir ohne Beweis, dass diese Entwicklungen alle im Inneren eines Kreisgebiets
mit dem Radius
um das Entwicklungszentrum
absolut konvergieren und außerhalb divergieren, wobei der jetzt erst richtig verständliche "Konvergenzradius"
nach den Konvergenzkriterien berechnet werden kann, von denen wir früher einige erläutert haben. Zum Beispiel begrenzt bei der komplexen geometrischen Reihe
die Singularität bei
den Konvergenzradius auf
, wie wir in Abschnitt 6.5 mit Hilfe des Quotienten-Kriteriums gesehen haben.
Wir wollen hier nur drei besonders wichtige Potenzreihen exemplarisch genauer untersuchen: die natürliche Exponentialfunktion, der wir schon begegnet sind, und Sinus und Cosinus.