Anzeichen für Quark-Gluon Materie identifiziert

Am Institut für Theoretische Physik der Universität Heidelberg ergibt eine Modellanalyse im Verbund mit Daten von Gold-Gold-Stößen Hinweise auf die Erzeugung des elusiven Quark-Gluon Plasmas [G. Wolschin, Physics Letters B 569, 67 (2003)]. Komplementäre Messungen von Deuteron-Gold Reaktionen am Schwerionen-Collider RHIC in Brookhaven erhärten den Befund solcher Signaturen für die kurzzeitige Bildung von Quark-Materie in Reaktionen zwischen schweren Ionen.

Ausgehend von frühen Experimenten am Bevalac-Beschleuniger des Lawrence Berkeley Nationallaboratoriums in Kalifornien, über Versuche mit Bleistrahlen am Protonensynchrotron SPS des CERN in Genf, bis zu 2000 gestarteten Experimenten mit Goldstrahlen am Schwerionen-Collider RHIC in Brookhaven (USA) suchen Physiker schon fast 30 Jahre nach Anzeichen für Quark-Materie. Wenngleich das CERN vor Beginn der RHIC-Strahlzeiten die Öffentlichkeit über einige solche Indizien wie die Reduktion bei der Erzeugung von J/Psi-Mesonen in Kenntnis setzte, liessen sie dennoch genügend Spielraum für Untersuchungen am RHIC bei wesentlich höheren Energien.

Quark-Gluon Materie ist nicht nur als Forschungsobjekt experimenteller und theoretischer Teilchenphysik von großem Interesse. Sie ist auch bei Untersuchungen der Frühzeit unseres Universums von erheblicher prinzipieller Bedeutung: Sekundenbruchteile nach dem Urknall war sie nach heutigen kosmologischen Vorstellungen im heissen, dichten Universum die Urform der Materie. Die Temperaturen waren so hoch, dass sich Neutronen und Protonen - die Hauptbestandteile der Materie - noch nicht aus Quarks und Gluonen bilden konnten.

Im weiteren Verlauf der Entwicklung und Abkühlung unseres inzwischen 13,7 Milliarden Jahre alten Universums gibt es nach heutigem Kenntnisstand nur zwei Möglichkeiten, diese exotische Materieform erneut zu erzeugen: Bei den sehr hohen Drücken im Innern von Neutronensternen - und in Stößen schwerer Kerne bei hohen (relativistischen) Energien, Bild 1. Nur letztere sind Laborexperimenten zugänglich. Wegen der raschen zeitlichen Entwicklung ist es dort allerdings extrem schwierig, wenigstens einen Teil des Systems in einen statistischen Gleichgewichtszustand zu versetzen, wie er im frühen Universum herrschte. Ein solches "lokales" Gleichgewicht ist aber wichtige Voraussetzung für die Bildung der Quark-Gluon Materie. In diesem Plasma sind die Temperaturen einige hunderttausend mal höher als die heutige Zentraltemperatur der Sonne von etwa 16 Millionen Kelvin, die Energiedichte ist etwa 30mal größer als in gewöhnlichen Atomkernen. Das sind Bedingungen, die denen im frühen Universum vergleichbar sind.



Bild 1: Analysen der Kollisionen von Gold-Kernen (hier experimentelle Ergebnisse vom STAR-Detektor am RHIC) bei einer Schwerpunktsenergie von 200 Milliarden Elektronenvolt pro Teilchen zeigen, dass sich in bestimmten Bereichen der Reaktion für sehr kurze Zeit (etwa 10^-23 Sekunden) Quark-Gluon Materie bildet. Auf diese Weise lässt sich der Urzustand des Universums - wenn auch nur kurzzeitig - im Labor erzeugen. Quelle: BNL/RHIC-STAR

Eine jetzt am Institut für theoretische Physik der Universität Heidelberg durchgeführte Analyse der Kollisionen von Gold-Kernen bei einer Schwerpunktenergie von 200 Milliarden Elektronenvolt pro Teilchen ergibt im Verbund mit den Daten vom RHIC deutliche Hinweise, dass einige der aus Quarks und Gluonen aufgebauten Kernbausteine (Protonen und Neutronen) in der kurzen Wechselwirkungszeit von etwa 10^-23 Sekunden tatsächlich zunächst in ihre Bestandteile zerlegt werden, so dass ein lokales Quark-Gluon Plasma im thermodynamischen Gleichgewicht entsteht - und erst am Ende der Reaktion die Quarks und Gluonen wieder hadronisieren, also im Detektor nachweisbare "normale" Teilchen bilden.

Nach Indizien für eine Plasmabildung in zentralen Stößen kann man sowohl in transversalen Variablen wie den Impulsverteilungen der in der Reaktion erzeugten Teilchen senkrecht zur Strahlrichtung, als auch in "longitudinalen" Variablen wie den Geschwindigkeitsverteilungen in Strahlrichtung suchen. So könnte die am RHIC gefundene reduzierte Erzeugung von Quarks bei großen Transversalimpulsen ("Jet Quenching": jeweils eines von zwei Rücken-an-Rücken ausgesandten Quarks wird im Quark-Gluon Plasma absorbiert, das andere löst einen nachweisbaren Teilchenjet aus) auf Plasmabildung hinweisen. Dafür ergibt neuerdings der Vergleich der Gold-Gold Stöße mit Reaktionen zwischen Gold und den wesentlich kleineren Deuterium-Kernen deutliche Hinweise, bei denen keine Unterdrückung der Teilchen-Jets bei hohem Transversalimpulsen (und demnach kein Hinweis auf Quark-Gluon Materie) gefunden worden ist: Das leichte Deuteron durchquert den schweren Goldkern, ohne die Materie in einem ausgedehnten Raumbereich stark genug aufzuheizen, um messbare Mengen an Quarkmaterie zu bilden [siehe vier Publikationen der RHIC-Kollaborationen: Physical Review Letters 91, 072302/3/4/5 (2003)].

Die hier vorgestellte Analyse [G. Wolschin, Physics Letters B 569, 67 (September 2003)] konzentriert sich dagegen auf die "longitudinalen" Variablen im schweren System Gold+Gold. Sie beruht auf einem in Heidelberg entwickelten und von Kollaborationen in Japan, Italien und Polen aufgegriffenen oder wenig später unabhängig entworfenen nichtgleichgewichts-statistischen Modell, dem Relativistischen Diffusionsmodell. An der Reaktion sind vergleichsweise viele Teilchen beteiligt (Gold hat 197 Kernteilchen, davon 79 Protonen), und zusätzlich werden aus der zur Verfügung stehenden relativistischen Energie sehr viele Quarks und Gluonen erzeugt, aus denen sich bei der sogenannten "Hadronisierung" etwa 4600 geladene Teilchen neu bilden. Man verzichtet deshalb auf eine Beschreibung des individuellen Verhaltens jedes einzelnen Teilchens und betrachtet statt dessen die mittlere zeitliche Entwicklung aller Teilchen einer bestimmten Sorte als Funktion der Zeit, und die dazugehörigen Schwankungen. Für genügend lange Zeiten würden sie alle das statistische Gleichgewicht erreichen. Ob die Reaktionszeit dafür ausreicht, müssen die Daten entscheiden.

Am Collider RHIC wetteifern die vier internationalen Kollaborationen BRAHMS, PHENIX, PHOBOS und STAR um die beweiskräftigsten experimentellen Resultate. Der theoretischen Analyse liegen Daten der BRAHMS-Kollaboration zugrunde. Sie beziehen sich auf die Anzahl der Netto-Protonen (Protonenzahl minus in der Reaktion erzeugte Antiprotonenzahl) als Funktion der sogenannten Rapidität. Diese bezüglich einer Lorentz-Transformation invariante Messgröße tritt bei relativistisch bewegten Teilchen an die Stelle der Geschwindigkeit.

Nahe den Rapiditätswerten der beiden Goldstrahlen hat die Verteilung jeweils ein Maximum. Die Verbreiterung infolge Diffusion durch Wechselwirkung mit anderen Teilchen, und durch Erzeugen neuer Teilchen wird durch das Modell beschrieben. Bei der niedrigeren SPS-Energie gibt es die Daten sehr gut wieder, liefert aber noch keine Hinweise auf Quark-Gluon Materie (Bild 2 oben).



Bild 2: Rapiditätsverteilungen von (Netto-)Protonen in Blei-Blei Reaktionen am Synchrotron SPS des CERN (oben; Daten von der NA 49-Kollaboration), und in Gold-Gold Reaktionen am RHIC bei höherer Schwerpunkts-Energie (unten; Daten von der BRAHMS-Kollaboration). Das Relativistische Diffusionsmodell beschreibt die CERN-Daten sehr genau, während die RHIC-Daten im mittleren Geschwindigkeits-(Rapiditäts-)bereich weit ausserhalb der theoretischen Voraussage für Nichtgleichgewichts-Reaktionen liegen und nur durch eine lokale Gleichgewichtsverteilung reproduziert werden können, schraffierter Bereich. Dies ist ein deutliches Anzeichen für lokale Quark-Gluon Materie Bildung bei etwa 14 Prozent der Kernteilchen in jedem zentralen Gold-Gold Stoßereignis - entsprechend dem "Deconfinement" der Quarks in 22 Protonen. Pfeile bezeichnen die jeweiligen Strahlrapiditäten. Quelle: G. Wolschin, hep-ph/0301004/ Phys. Lett. B 569, 67 (September 2003)

Bei der höheren RHIC-Energie liegen die Messpunkte nun jedoch im Bereich mittlerer Rapiditäten (vergleichsweise langsam in Strahlrichtung bewegte Teilchen) deutlich über der theoretischen Erwartung für den Nichtgleichgewichtsfall. Sie lassen sich unter der Voraussetzung reproduzieren, dass etwa 14 Prozent der Teilchen in jeder zentralen Reaktion sehr rasch lokales statistisches Gleichgewicht erreichen (Bild 2 unten). Der Übergang zu dieser lokalen Gleichgewichtsphase ist diskontinuierlich und hat insofern die von einem Phasenübergang erwarteten Eigenschaften. Eine solche abrupte Annäherung an das lokale statistische Gleichgewicht ist möglich, wenn bei den in zentralen Stößen erreichten hohen Drücken und Temperaturen die Nukleonen ihre Konstituenten kurzzeitig freisetzen und dadurch die Zahl der verfügbaren Freiheitsgrade vervielfacht wird - man spricht in diesem Zusammenhang von "Deconfinement", dem kurzzeitigen Freisetzen von Teilchenbestandteilen - hier Quarks und Gluonen.

Das Ergebnis für zentrale Gold-Gold-Stöße lässt sich demnach als (zeitlich) intermediäre und (räumlich) lokale Bildung von Quark-Gluon Materie interpretieren. Noch direktere Anzeichen für den Übergang zu diesem seltenen und unter Laborbedingungen extrem kurzlebigen Materiezustand werden nur schwer zu finden sein, zumal es nach heutigem Erkenntnisstand keine freien Quarks gibt. Im Rahmen der möglichen Indizienbeweise liefert jedoch die Analyse der BRAHMS-Daten einen recht weit gehenden Hinweis, dass bei RHIC-Energien der exotische Materiezustand kurzzeitig erzeugt worden ist. Ihn genauer zu untersuchen, ist eine wesentliche Aufgabe der kommenden Strahlzeiten am Schwerionencollider RHIC, und ab 2007 am Large Hadron Collider LHC des CERN.

Weitere Informationen finden sich unter

http://wolschin.uni-hd.de

Rückfragen bitte an:

Dr. Michael Schwarz

Pressesprecher der Universität Heidelberg

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