Quark-sea in a fireball

Quarksee im Feuerball: Anzeichen für Quark-Gluon Materie

Wenn schwere Ionen fast mit Lichtgeschwindigkeit aufeinanderprallen, entsteht ein extrem heisser Feuerball. Darin können sich die Kernteilchen - Protonen und Neutronen - in ihre Bestandteile - Quarks und Gluonen - auflösen. Die Analyse von Zusammenstößen zwischen Goldkernen lieferte jetzt relativ überzeugende Belege dafür.

Von Georg Wolschin

Seit mehr als zwei Jahrzehnten suchen Physiker nun schon nach der exotischen Materieform, aus der nach allgemeiner Ansicht das Universum Sekundenbruchteile nach dem Urknall vor 13,7 Milliarden Jahren bestand. Damals herrschten derart hohe Temperaturen, dass Quarks und Gluonen, die sich später zu Protonen und Neutronen - den Grundbestandteilen der Materie - vereinigten, noch frei wie in einem See umherschwirrten: dem Quark-Gluon-Plasma. Diese Schlussfolgerung ergibt sich jedenfalls aus der Standardtheorie der Elementarteilchen. Doch Physiker glauben letztlich nur, was sie im Experiment nachvollziehen können. Deshalb ist die Erzeugung eines Quark-Gluon-Plasmas schon seit langem ein mit großem Nachdruck verfolgtes Ziel an mehreren Teilchenbeschleunigern weltweit. Denn die einzige Chance, diese exotische Materie heute experimentell zu reproduzieren, besteht darin, schwere Atomkerne mit hohen Geschwindigkeiten aufeinanderprallen zu lassen.

Allerdings laufen diese Stöße so schnell ab, dass der "Feuerball", in den sich Teile der kollidierenden Kerne verwandeln, kaum Zeit findet, wenigstens stellenweise jenen thermodynamischen Gleichgewichtszustand anzunehmen, der die Voraussetzung für die Entstehung eines Quark-Gluon-Plasmas ist. Alles in allem sind die Anforderungen beachtlich: Es gilt, in einem mit der Größe des Kerns vergleichbaren Raumbereich für mindestens die Dauer der Wechselwirkungszeit von etwa 10^-23 Sekunden Temperaturen zu erzeugen, die einige hunderttausendmal höher sind als die etwa 16 Millionen Kelvin im Zentrum der Sonne, und Energiedichten zu erzielen, welche diejenigen in gewöhnlichen Atomkernen um das Dreissigfache oder mehr übersteigen.

Auf frühe Experimente am Bevalac-Beschleuniger des Lawrence Berkeley Nationallaboratoriums in Kalifornien folgten ab 1994 Versuche mit Bleistrahlen am Super-Protonensynchrotron des europäischen Kernforschungszentrums CERN in Genf. Sie lieferten bereits erste Anzeichen für die Bildung eines Quark-Gluon-Plasmas - beispielsweise eine verringerte Bildungsrate von so genannten J/Psi-Mesonen (Spektrum der Wissenschaft 4/2000, S. 12). Zur genaueren Untersuchung dieser Signaturen, und um bei höherer Energie mögliche neue Signaturen aufzuspüren begannen im Jahre 2000 am Schwerionen-Collider RHIC des Brookhaven-Nationallaboratoriums in Upton (US-Bundesstaat New York) Experimente mit Goldstrahlen bei noch wesentlich höheren Energien (Bild 1). An diesem Beschleuniger wetteifern seither die vier internationalen Kollaborationen BRAHMS, PHENIX, PHOBOS und STAR um die beweiskräftigsten Resultate. Bei der Analyse ihrer Daten durch Heidelberger Theoretiker wurde nun ein relativ überzeugender Beleg dafür gefunden, dass tatsächlich vorübergend ein Quark-Gluon-Plasma entstanden ist.

Die Experimentatoren an den Teilchenschleudern erwarten Folgendes: Im Inneren der beiden schweren Kerne sollten beim Zusammenprall so hohe Energien und Temperaturen entstehen, dass sich die enthaltenen Protonen und Neutronen auflösen. Dabei würden ihre Bestandteile freigesetzt: je drei Quarks mitsamt den Gluonen, die als "Austauschteilchen" die Wechselwirkung zwischen ihnen vermitteln. Vorübergehend könnten diese Teilchen dann - wie kurz nach dem Urknall - losgelöst und ungebunden umherschwirren, sich allerdings nicht voneinander entfernen, da ihre gegenseitige Anziehung mit ihrem Abstand zunimmt: Ein Quark-Gluon-Plasma wäre entstanden. Direkt ist dieser Zustand allerdings nicht nachweisbar: Freie Quarks lassen sich nicht beobachten, sondern vereinigen sich vor jeder möglichen direkten Messung mit ihresgleichen zu größeren Teilchen. Das geschieht auch bei den Stoßexperimenten im Teilchenbeschleuniger, während sich der zunächst entstandene heisse, dichte Feuerball ausdehnt und dabei abkühlt. Die Sekundärteilchen stieben dann in verschiedene Richtungen davon. Dabei sollten sie sich in Art, Zahl, Geschwindigkeit und Richtung von denjenigen Kollisionsprodukten unterscheiden, die entstehen, wenn kein Quark-Gluon-Plasma als Zwischenzustand auftritt.

Die Analyse sämtlicher Reaktionsprodukte der Kollision in allen Winkelbereichen ist allerdings extrem aufwendig, wenn nicht unmöglich. Deshalb beschränken sich die Wissenschaftler auf ganz bestimmte Messgrößen, die ihnen besonders aussagekräftig erscheinen. Eine Möglichkeit ist beispielsweise, die "Transversalimpulse" zu analysieren, also die Teilchenimpulse senkrecht zur Strahlrichtung.

Dies haben die vier Kollaborationen am RHIC für die Gold-Gold-Stöße getan. Tatsächlich fand sich dabei im Vergleich zu früheren Daten von Kollisionen zwischen Protonen (unter Berücksichtigung der größeren Teilchenzahl) eine auffällige Abnahme von Partikeln mit hohem Transversalimpuls. Dies lässt sich als Hinweis auf ein Quark-Gluon-Plasma deuten: Ein solches Plasma kann hochenergetische Quarks, die Rücken an Rücken entstanden sind und in entgegengesetzter Richtung auseinanderfliegen, stark abbremsen oder sogar absorbieren, bevor sie einen messbaren Schauer an Sekundärteilchen erzeugen.

Für diese Interpretation spricht auch der Vergleich zwischen Gold-Gold-Stößen und Kollisionen von Gold- mit den wesentlich kleineren Deuterium-Kernen. Im letzteren Fall reicht die Energie nicht aus, die Materie in einem ausgedehnten Raumbereich stark genug aufzuheizen, dass ein Quark-Gluon-Plasma entsteht. Entsprechend findet man keine verringerte Anzahl von Teilchen mit hohem Transversalimpuls. Diese Ergebnisse sind in vier Artikeln zusammengefasst, die in der Zeitschrift Physical Review Letters erschienen sind.

Komplementär dazu kann man longitudinale Variable analysieren: die Geschwindigkeitsverteilung der Teilchen in Richtung der Primärstrahlen. In Physics Letters B 569, 67 (2003) vergleiche ich die experimentellen Daten der BRAHMS-Kollaboration mit der Vorhersage eines so genannten Relativistischen Diffusionsmodells, das die Nichtgleichgewichts-Situation auf dem Weg hin zum thermodynamischen Gleichgewicht beschreibt. Es wurde in Heidelberg entwickelt und von Gruppen in Japan, Italien und Polen aufgegriffen beziehungsweise wenig später unabhängig aufgestellt.

An der Kollision zwischen zwei Gold-Kernen sind vergleichsweise viele Teilchen beteiligt. Zum einen enthält Gold selbst bereits 79 Protonen und 118 Neutronen. Zum anderen materialisiert sich die enorme Aufprallenergie gemäss der Energie-Masse-Äquivalenz der Relativitätstheorie in zahllosen Quarks und Gluonen, die sich schliesslich zu etwa 4500 (BRAHMS misst 4472 ohne die Protonen der einlaufenden Goldkerne) neuen geladenen und vielen weiteren neutralen Partikeln vereinigen. Vor diesem Hintergrund verzichtet das Relativistische Diffusionsmodell darauf, das individuelle Verhalten jedes einzelnen Teilchens beschreiben zu wollen, und liefert statt dessen Mittelwerte und Schwankungsbreiten für die Merkmale aller Teilchen einer bestimmten Sorte.

Der theoretischen Analyse lagen Daten der BRAHMS-Kollaboration zugrunde, die sich auf die Anzahl der beim Stoß erzeugten Netto-Protonen (Differenz zwischen Protonen und Antiprotonen) als Funktion der sogenannten Rapidität beziehen (Bild 2). Diese Messgröße tritt bei Teilchen, die fast Lichtgeschwindigkeit erreichen und folglich relativistische Effekte zeigen, an die Stelle der Geschwindigkeit.

Relativ dicht bei den Rapiditätswerten der beiden aufeinandertreffenden Goldstrahlen erreicht die Anzahl der Netto-Protonen jeweils ein Maximum. Das Relativistische Diffusionsmodell beschreibt die Lage der Maxima, und wie sie sich auf Grund von Diffusionsprozessen durch Wechselwirkung mit anderen Teilchen und durch das Erzeugen neuer Partikel verbreitern. Bei der relativ niedrigen Energie der Experimente mit Blei-Kernen am CERN von etwa 17 Milliarden Elektronenvolt Schwerpunktsenergie pro Teilchen gibt es die Daten sehr gut wieder. Hinweise auf Quark-Gluon Materie sind dort demnach nicht zu erkennen (Bild 3 oben).

Bei der höheren RHIC-Energie von 200 Milliarden Elektronenvolt pro Teilchen dagegen verhält es sich anders. Hier liegen die Messpunkte bei relativ langsam in Strahlrichtung bewegten Teilchen deutlich über den Werten, die das Relativistische Diffusionsmodell für den Nichtgleichgewichtsfall vorhersagt. Sie lassen sich nur erklären, wenn man annimmt, dass bei zentralen Stößen etwa 14 Prozent der Kernteilchen in der extrem kurzen Wechselwirkungszeit von etwa 10^-23 Sekunden ein lokales thermodynamisches Gleichgewicht erreichen (Bild 3 unten). Die plötzliche Zustandsänderung ist dabei typisch für einen Phasenübergang: Analog geht Eis zum Beispiel am Schmelzpunkt abrupt vom festen in den flüssigen Zustand über. Das Ergebnis für zentrale Gold-Gold-Stöße lässt sich demnach als vorübergehende lokale Bildung eines Quark-Gluon-Plasmas interpretieren. Direktere Anzeichen für den Übergang in diesen exotischen Materiezustand dürften sich nur schwer finden lassen. Ihn genauer zu untersuchen, wird nun die wesentliche Aufgabe der weiteren Experimente am Schwerionencollider RHIC und ab 2007 am Large Hadron Collider LHC des CERN sein.

Bild 1: Der Schwerionen-Collider RHIC in Brookhaven im US-Bundesstaat New York. Hier werden Stöße zwischen Gold-Kernen bei Schwerpunktenergien bis zu 200 Milliarden Elektronenvolt pro Teilchen untersucht. Neue Ergebnis weisen zusammen mit theoretischen Modellen - so die hier vorgestellten Ergebnisse von der Universität Heidelberg - auf die Bildung von Quark-Gluon Materie hin, wie sie im frühen Universum vorlag.

Quelle: RHIC

Bild 2: Mit dem Detektor BRAHMS (Broad Range Hadron Magnetic Spectrometers Experiment at RHIC; oben) wurden insbesondere die Verteilungen von Protonen und anderen geladenen Hadronen gemessen, die bei Gold-Gold Stößen freigesetzt, oder aus Energie erzeugt werden. Im Vergleich mit dem theoretischen Relativistischen Diffusionsmodell ergeben sich Anzeichen für die kurzzeitige, lokal begrenzte Erzeugung des Quark-Gluon Plasmas (unten: Schemazeichnung).

Quelle: BRAHMS-Kollaboration/BNL

Bild 3: Rapiditätsverteilungen von Protonen in Blei-Blei Reaktionen am Synchrotron SPS des CERN (oben), und in Gold-Gold Reaktionen am RHIC bei höherer Schwerpunkts-Energie (unten). Das Relativistische Diffusionsmodell beschreibt die CERN-Daten sehr genau, während die RHIC-Daten im mittleren Geschwindigkeits-(Rapiditäts-)bereich weit ausserhalb der theoretischen Voraussage für Nichtgleichgewichts-Reaktionen liegen und nur durch eine lokale Gleichgewichtsverteilung reproduziert werden können, schraffierter Bereich. Dies ist ein deutliches Anzeichen für lokale Quark-Gluon-Materie Bildung für etwa 14 Prozent der Protonen. Pfeile bezeichnen die jeweiligen Strahlrapiditäten.

Quelle: Physics Letters B 569, 67 (2003).

Bildnachweis: G. Wolschin, hep-ph/0301004 Anomalous net-proton-rapidity spectra at RHIC

Bild 4: Kollisionen von Deuteronen mit Gold-Kernen (hier Ergebnisse vom STAR-Detektor am RHIC) zeigen charakteristische Unterschiede zu Gold-Gold-Stößen bei der gleichen Schwerpunktenergie. Die kleinen Deuteronen durchqueren Goldkerne, ohne die Materie sehr stark aufzuheizen, während sich bei zentralen Stößen der schweren Goldkerne miteinander in bestimmten Bereichen für sehr kurze Zeit Quark-Gluon Materie bildet.

Quelle: BNL/RHIC-STAR

Siehe Spektrum d. Wissenschaft 11 (2003) 21 für den redigierten und illustrierten Artikel. Bitte VORSICHT: Einige der dortigen Statements sind rein redaktionelle, stark vereinfachte und manchmal übertriebene Formulierungen. im Zweifel BITTE die Fachpublikationen zu Rate ziehen, hier

Anomalous net-proton-rapidity spectra at RHIC: Physics Letters B 569, 67 (2003), sowie

Diffusion and local deconfinement in relativistic systems: Physical Review C69, 024906 (2004),

und dortige Referenzen.

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