Year of Physics
Brownsche Bewegung: Heute und vor 100 Jahren
Ganz im Gegensatz zu Einsteins berühmten Arbeiten über spezielle Relativitätstheorie - man denke nur an die zweite, dreiseitige Arbeit, in der er die Äquivalenz von Energie und Masse, E = mc^2, formulierte - sind zwei andere, ebenfalls im Jahre 1905 fertiggestellte Manuskripte in der Öffentlichkeit weniger bekannt. Dennoch gehören sie zu den bahnbrechenden Fortschritten auf drei unterschiedlichen Gebieten, die durch Einsteins Arbeiten 1905 erzielt wurden.
Beide Manuskripte handeln von der Brownschen Bewegung, der Zufallsbewegung makroskopischer Teilchen in Flüssigkeiten aufgrund der Molekülstöße. Sie zeigten insbesondere einen Weg auf, die Existenz von Molekülen experimentell nachzuweisen durch die Untersuchung der Zufallsbewegung Brownscher Teilchen. Tatsächlich konnte Jean Baptiste Perrin 1908 auf diese Weise zeigen, dass es Atome gibt - für die Arbeit erhielt er 1926 den Physik-Nobelpreis, fünf Jahre nach Einstein - der den Preis jedoch nicht für die Arbeiten über Brownsche Bewegung oder Relativitätstheorie, sondern über den Fotoeffekt bekam.
Die Brownsche Bewegung war damals schon seit langem bekannt - es fehlte jedoch die richtige theoretische Interpretation. Der schottische Botaniker Robert Brown, auf den die erste klare Beschreibung des Zellkerns zurückgeht, und der entscheidend dazu beitrug, aus der Botanik eine wissenschaftliche Disziplin zu machen, untersuchte im Sommer 1827 Clarkia Pulchella-Pollen in Wasser unter dem Mikroskop. Die Pollen waren in ständiger Bewegung, die weder aufhörte, noch gedämpft wurde. Sie wurde nicht durch äußere Einflüsse wie Licht hervorgerufen. Schon vor Brown hatten einige andere Wissenschaftler das Phänomen beobachtet. Manche versuchten, die Entdeckung mit Hilfe lebender Sustanzen zu erklären; Brown untersuchte jedoch Körner von anorganischen Mineralien in Suspension und fand auch bei ihnen die Zitterbewegung: es musste sich um einen physikalischen, keinen biologischen Effekt handeln.
Es vergingen Jahrzehnte, in denen die grundlegende Bedeutung des Phänomens weitgehend unerkannt blieb. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Brownsche Bewegung mit Hilfe einer molekular-kinetischen Theorie interpretiert, die durch spätere Experimente von Louis Georges Gouy gestützt wurde. Man bemühte sich damals insbesondere zu verstehen, wie die zeitlich reversible Newtonsche Mechanik mit der zeitlich irreversiblen Thermodynamik in Übereinstimmung gebracht werden könnte, und von der Untersuchung der Brownschen Bewegung erhoffte man sich auch Aufschluss über die Natur des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik. Diesem Satz zufolge ist ein Perpetuum mobile zweiter Art unmöglich, bei dem Wärmeenergie (die ungeordnete thermische Bewegung der Moleküle) vollständig in mechanische Energie verwandelt wird; vielmehr geht dabei stets Energie "verloren". Wie kommt es dann, dass die Brownsche Bewegung nicht aufhört?
Einstein schrieb dann 1905 "Über die von der molekularkinetischen Theorie der Wärme geforderte Bewegung von in ruhenden Flüssigkeiten suspendierten Teilchen", so der Titel der ersten, in Band 17 der Annalen der Physik veröffentlichten Arbeit. Eingangs sagt er "Es ist möglich, dass die hier zu behandelnden Bewegungen mit der sogenannten 'Brownschen Molekularbewegung' identisch sind; die mir erreichbaren Angaben über letztere sind jedoch so ungenau, dass ich mir hierüber kein Urteil bilden konnte." Aus diesem Grund fehlt auch der Hinweis auf die Brownsche Bewegung im Titel der ersten Arbeit zu diesem Thema.
Inzwischen ist längst klar, dass Einsteins Diffusions-Theorie auf die Brownsche Bewegung anwendbar ist. Es gelang ihm, eine theoretische Herleitung des Diffusionskoeffizienten zu geben, und die (heute Einstein-Relation genannte) Beziehung zwischen dem Diffusionskoeffizienten und der Temperatur abzuleiten.
Die Bedeutung der Einsteinschen Arbeiten über die Brownsche Bewegung für die moderne Wissenschaft ist enorm. Nicht nur in der Physik und in angewandten Bereichen wie der Nanotechnologie, sondern auch in Biologie und Chemie ist die Einsteinsche Theorie der Diffusion sehr wichtig, und die Originalarbeiten werden heute viel öfter zitiert als diejenigen über den Fotoeffekt oder die spezielle Relativität.
Das folgende Interview mit dem statistischen Physiker Siegfried Großmann von der Universität Marburg soll Entstehungsgeschichte, Inhalt und Wirkung der Einsteinschen Arbeiten zur Brownschen Bewegung im Hinblick auf die moderne Forschung beleuchten.
Wolschin: Wie kam Einstein dazu, sich mit der Brownschen Molekularbewegung zu befassen?
Großmann: Der molekulare Aufbau der Materie war um 1900 ein leidenschaftlich diskutiertes Thema der Forschung. Die kinetische Gastheorie von Amadeo Avogadro (1776-1856), Rudolf Clausius (1822-1888), James Clerk Maxwell (1838-1879), u. a. schien zu stagnieren, galt auch nur für verdünnte Systeme, also Gase. Die Botschaft von Ludwig Boltzmann (1844-1906) über eine kinetische Gleichung für die Verteilungsfunktion der Moleküle nach Ort und Geschwindigkeit, insbesondere sein H-Theorem, stießen teilweise auf Ablehnung, was diesen sehr bedrückte.
Auf Einstein hatten Boltzmanns Ideen jedoch großen Einfluss. Andererseits hatte die makroskopische Thermodynamik erhebliche Fortschritte gemacht, etwa durch die Arbeiten von Max Planck (1858-1947). Einstein hatte dessen "Vorlesungen zur Thermodynamik" ebenso gelesen wie Kirchhoffs "Vorlesungen über die Theorie der Wärme" (Gustav Robert Kirchhoff, 1824-1887). Es war die Zeit des gedanklichen, vielleicht auch emotionalen Übergangs von der klassischen zur atomistisch geprägten modernen Physik. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass auch der junge Albert Einstein, der 1905 gerade 26 Jahre alt war, sich mit der "molekularkinetischen" Physik auseinandersetzte.
Hierüber, genauer über die molekularkinetische Analyse von Lösungen, schrieb er seine Dissertation, die ihn fünf Jahre lang, von etwa 1900 bis 1905 beschäftigte. Sie hat den Titel "Eine neue Bestimmung der Moleküldimensionen", wurde 1901 an der Universität Zürich eingereicht (ein Jahr nach seiner Graduierung an der ETH Zürich) aber 1902 zurückgezogen. Es gelang ihm anschließend, die Techniken der klassischen Hydrodynamik und der Diffusionstheorie zusammenzubringen. Am 30. April 1905 war die Dissertation dann fertig, wurde am 20 Juli eingereicht (wieder an der Universität Zürich), am 27. Juli bereits angenommen, kurze Zeit danach (19. August) leicht überarbeitet bei den Annalen der Physik eingereicht, wo sie dann in Band 19, Seiten 289-305, am 8. Februar 1906 erschien. So schnell ging das damals!
W: Was war das grundlegend Neue an seiner Behandlung der "Bewegung von in ruhenden Flüssigkeiten suspendierten Teilchen"?
G: Einstein gründete seine Analyse nicht wie die Vorgänger auf den Gleichverteilungssatz der Energie über alle Freiheitsgrade, sondern auf den makroskopisch messbaren osmotischen Druck der suspendierten Körperchen. Auch studierte er nicht deren Geschwindigkeit, die sich ja unter den Stößen der umgebenden Flüssigkeitsmoleküle ständig ändert, sondern vielmehr die mittlere Verschiebung der Körperchen unter den statistisch aufprasselnden Molekülstößen. Er behandelte also eine ganz andere, eine neue und richtig gewählte Größe, die messbar sein sollte und es unter dem neuen, 1903 publizierten Ultramikroskop von Henry Siedentopf und Richard Zsigmondy dann auch war.
Neu war also einmal, statt des Kräftegleichgewichts auf die einzelnen Moleküle dasjenige zwischen dem makroskopisch messbaren osmotischen Druck und der Reibungskraft zu betrachten und zum anderen, Diffusion und mittlere Verschiebung mit Hilfe einer statistischen Beschreibung zu berechnen. Die Zeitabstände zwischen den Beobachtungen sind nämlich viel größer als die winzigen Zeitabstände zwischen den Molekülstößen, die einerseits die Ursache für die Verschiebungen sind, sie andererseits aber auch unvorhersehbar, statistisch machen.
Marian von Smoluchowski (1872-1917) hat die Beschreibung der Brownschen Molekularbewegung mit Hilfe der mittleren quadratischen Verschiebung unter dem Einfluss der Molekülstöße unabhängig entwickelt und 1907 veröffentlicht. Auch Ludwig Boltzmann hatte in seiner Gastheorie gesagt, dass die thermische Bewegung der Moleküle zu einer messbaren Verschiebung der Körperchen führen sollte.
Methodisch gelang es Einstein, die molekularkinetische Sicht mit der makroskopischen Theorie der Dissipation und der Thermodynamik zu verbinden. Inhaltlich konnte er die Physik von suspendierten Körpern, also "Übermolekülen", quantitativ und experimentell nachprüfbar beschreiben. Auf eine Bewährung seiner Formeln in Experimenten legte er außerordentlichen Wert! Sie war ein Teil seiner Motivation zu dieser Arbeit.
So sagt er einleitend, dass nach der klassischen Theorie der Thermodynamik nicht zu erwarten sei, dass suspendierte Teilchen auf die Gefäßwände irgendeine Kraft ausübten. Aber, und nun folgt O-Ton Einstein, "vom Standpunkt der molekularkinetischen Wärmetheorie kommt man zu einer ganz anderen Auffassung. Die suspendierten Körper üben einen osmotischen Druck aus", wie gelöste Moleküle. Denn, so seine wichtige Einsicht, gelöste Moleküle und suspendierte Körper unterscheiden sich "lediglich durch die Größe". Er berechnet diesen Druck und die Ausbreitung durch Diffusion bei Druckgefälle und schließt mit den Worten "Möge es bald einem Forscher gelingen, die hier aufgeworfene, für die Theorie der Wärme wichtige Frage zu entscheiden."
Ihm war sehr bewusst: "Erweist sich die Voraussage dieser Bewegung (der suspendierten Körper) als unzutreffend, so wäre damit ein schwerwiegendes Argument gegen die molekularkinetische Auffassung gegeben." Sehr bald hat sich herausgestellt, was für uns heute ganz selbstverständlich ist: Die Einsteinschen Ergebnisse und Vorhersagen über die Diffusion wurden durch die Messungen von Jean Perrin (1870-1942) schon 1908 glänzend bestätigt.
W: Welche zentralen Ergebnisse der beiden Einsteinschen Arbeiten haben auch jenseits der Beschreibung der Brownschen Bewegung Konsequenzen für die Beschreibung des Verhaltens komplexer physikalischer, chemischer und biologischer Systeme?
G: Molekularkinetische Theorie und makroskopische Wärmetheorie wurden vereinheitlicht. Die bis dahin nur für verdünnte Systeme, also Gase, geltende Kinetik konnte nun Aussagen machen, die auch für kondensierte Systeme, also für Flüssigleiten, gelten, bei denen die teilnehmenden Moleküle, seien sie winzig oder riesengroß, beliebig stark und andauernd miteinander wechselwirken. Einsteins Trick war - und er verwendete ähnliches auch an anderer Stelle - messbare Größen unter verschiedenen Gesichtspunkten zu betrachten und so Verknüpfungen zwischen ihnen herzustellen. Das liefert explizite Formeln, die man nachmessen kann.
In der Suspensionsarbeit von 1905 verbindet er die Diffusion von kleinen suspendierten Körperchen mit der Behinderung ihrer Bewegung durch die Zähigkeit des Lösungsmittels, und dies alles in einer Umgebung der Temperatur T. So gewinnt Einstein Zusammenhänge zwischen dem Transportkoeffizienten, der Dämpfung lokaler Schwankungen und der Temperatur T. Solche Zusammenhänge nennen wir heute "Einstein-Relationen".
In der 1905er Arbeit werden zwar die Zerfallsraten der lokalen Fluktuationen nicht ausdrücklich angesprochen, aber Einstein gibt sie explizit an. So wurde die Arbeit auch zum Ausgangspunkt für einen neuen Zweig in der Physik, dem der Schwankungen oder Fluktuationsphänomene. Er trug 1907 eine weitere Arbeit hierzu bei, die sich mit Spannungsschwankungen an einem Kondensator beschäftigte, das Konzept also auf eine weitere Fragestellung anwandte.
Heute bilden solche Zusammenhänge zwischen den Gleichgewichtsschwankungen einerseits und der Reaktion eines Systems auf äußere Störungen andererseits einen zentralen Baustein bei der Untersuchung vieler Systeme aus Physik, Chemie, Biologie, Neurologie, weicher Materie, Verkehrsforschung, Rauschgrenzen für Messgeräte, Bewegung von Viren oder Wirkstoffen, usw. Ein zweites zentrales Ergebnis ist Einsteins Einsicht, dass im molekularkinetischen Bereich die Gesetze der Statistik und Wahrscheinlichkeitsverteilungen anzuwenden sind.
W: Steht die Brownsche Bewegung - wie es Wilhelm Conrad Röntgen in einem Brief an Einstein vom 18. September 1906 (und auch früher schon Henri Poincaré) vermutet hatte - im Widerspruch zum zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, nach dem irreversible Prozesse in einem abgeschlossenen System mit einer Vergrößerung der Entropie einhergehen?
G: Natürlich nicht. Einstein wusste, wie viele seiner Zeitgenossen, sehr genau, wie man die Entropie eines großen Systems, die man im Labor durch Wärmeübertragung misst, aus der Zustandssumme ausrechnen kann. Die Grundformeln der Statistischen Physik waren ihm aus drei eigenen Arbeiten von 1902 bis 1904 geläufig und werden in der diskutierten Arbeit erneut hingeschrieben, als Stand der Kunst. (Sie waren übrigens unabhängig von ihm bereits von J. Willard Gibbs (1839-1903) in den USA entwickelt worden, etwa in dessen berühmtem Buch Elementary Principles of Statistical Mechanics von 1902, was ihm aber erst später bekannt wurde.)
Ihm werden sich die Zweifel von Röntgen gar nicht gestellt haben, weil die Bewegung der Konstituenten, also von kleinen oder großen Molekülen (suspendierten Körpern) sich nicht unterscheiden. Der zweite Hauptsatz beansprucht Gültigkeit für die Statistik von großen Systemen oder solchen mit vielen Freiheitsgraden, aber nicht für die Schwerpunktsbewegung einzelner Teilchen. Die Bewegung einzelner Moleküle gehorcht der reversiblen Newtonschen Mechanik, der zweite Hauptsatz über die Entropie betrifft die irreversible, nicht zeit-umkehrbare Vielteilchendynamik. Beide kommen sich nicht nur nicht ins Gehege, sondern sie vertragen sich nach heutiger Einsicht wunderbar. - Übrigens: Einstein ist auf Röntgens Brief nie explizit eingegangen.
W: Einstein macht in den Arbeiten zur Brownschen Bewegung verschiedene Vorschläge zur genauen Bestimmung der sogenannten Avogadro-Konstanten, welche die Anzahl der Teilchen - Atome oder Moleküle - in 1 mol Stoffmenge angibt; es sind etwa 6·10^23 Teilchen. Insbesondere findet er in der zweiten Arbeit mit dem Titel "Zur Theorie der Brownschen Bewegung" zwei neue Gleichungen, aus denen N bestimmt werden kann. Gehen die heutigen Methoden zur Präzisionsbestimmung dieser sehr wichtigen Zahl auf seine Vorschläge zurück?
G: Die Einsteinschen Gleichungen stellen Verknüpfungen zwischen Teilchenzahl, Teilchengröße, Temperatur, Viskosität von Flüssigkeiten und dem Diffusionskoeffizienten her. Man kann sie unterschiedlich verwenden, je nachdem, welche dieser Größen man in einer konkreten Situation durch Messung kennt. Einstein selbst schreibt beispielhaft zwei (von noch mehr) Möglichkeiten hin. Sie sind nicht einmal zugeschnitten auf die Bestimmung der Avogadro Zahl. So berechnet er etwa, wie groß die mittlere Verschiebung eines unter dem Mikroskop eine Minute lang beobachteten suspendierten Teilchens ist, wenn dieses ein Mikrometer groß wäre: er erhält etwa sechs Mikrometer, bei 17 °C, in Wasser mit bekannter Zähigkeit und bekannter Avogadro Zahl.
Natürlich kann man das umkehren und die im Experiment beobachteten sechs Mikrometer einfüttern, um sich dann zu fragen, wie groß müssen Teichen sein, damit sich gerade dieser Wert ergibt oder eben auch, wie viele Teilchen N müssen es sein, um dieses Messergebnis zu bewirken. Moderne wie frühere Präzisionsmessungen wenden generell Verknüpfungsformeln an, deren Bestandteile sich besonders gut messen lassen, wie direkt oder indirekt sie mit der untersuchten Größe auch in Verbindung stehen. Heute verwendet man für die Avogadro Zahl ihren Zusammenhang mit der Gas- und der Boltzmann-Konstanten.
W: Anfang des 20. Jahrhunderts gab es immer noch eine Debatte über die Frage, ob Atome und Moleküle "reale" Teilchen seien. Welchen Einfluss hatten Einsteins Arbeiten in dieser Hinsicht?
G: Sie haben wesentlich zum Bewusstseinswandel über die molekulare Struktur der physikalischen Körper beigetragen, seien sie fest, flüssig oder gasförmig. Da Einsteins Aussagen, die sich aus der Vorstellungen der Molekularkinetik ergaben, durch Messungen nachprüfbar waren, erwiesen sie und damit die Moleküle sich als in demselben Sinne real wie andere Vorstellungen der Physik, z. B. elektrische oder magnetische Felder, Ladungen, Lichtquanten und vieles andere mehr. Einstein war hinsichtlich des molekularen Aufbaus der Materie zwar ein Rufer neben anderen, etwa Ludwig Boltzmann, trug aber wesentlich zum endgültigen Durchbruch bei.
Er überzeugte schließlich selbst die großen, aber einflussreichen Skeptiker einer realen Existenz von Atomen und Molekülen, Ernst Mach (1838-1916) und Wilhelm Ostwald (1853-1932). Viele Jahre später sagte Einstein einmal: "Mein Hauptziel war es, Tatsachen zu finden, welche die Existenz der Atome von bestimmter Größe möglichst sicherstellten." In der Atomdebatte bewirkte Einstein die durchgreifende Änderung des Bewusstseins, indem er die Analysemethode wesentlich erweiterte und neue, experimentell prüfbare Verknüpfungen herstellte. In den anderen beiden 1905er Arbeiten änderte er Grundvorstellungen der Physik.
W: Welche Gebiete in der heutigen naturwissenschaftlichen Forschung profitieren Ihrer Meinung nach am meisten von den 1905er Arbeiten?
G: Das kann man wohl so nicht beantworten. Einstein hat mit allen drei großen 1905er Arbeiten die Entwicklung der Physik wesentlich beeinflusst und geprägt. Seine Ergebnisse sind uns heute so selbstverständlich, dass man sich oft gar nicht im Klaren darüber ist, wann und wo man sie alles verwendet. Auch werden die forschenden Wissenschaftler je nach ihrem Interessengebiet unterschiedliche Antworten geben wollen. Besonders die jeweils junge Generation lernt die Physik nach Einsteins Einsichten, ohne sich bewusst zu sein, dass es so ist.
W: Wieso werden die Arbeiten über Brownsche Bewegung heute häufiger von anderen Wissenschaftlern zitiert als diejenigen über spezielle Relativitätstheorie und den Fotoeffekt - für die Einstein in der Öffentlichkeit doch weitaus bekannter ist?
G: Wenn es denn tatsächlich so ist, hängt es vielleicht damit zusammen, dass die moderne Wissenschaft sehr interdisziplinär geworden ist. Molekulardynamik wendet man heute auch in der Biophysik, der Molekularbiologie (sic!), Biochemie usw. an. Das sind Gebiete, in denen die molekularkinetischen Grundlagen für die meisten beobachteten Phänomene besonders wichtig sind. Es sind einfach mehr Wissensgebiete und mehr Wissenschaftler, die auf Einsteins Suspensionsarbeit, auf seine Analyse Brownscher Bewegung oder auf seine Einsichten zur Statistik von Schwankungen zurückgreifen, weil sie einschlägig sind. Zellen des menschlichen Körpers oder die von Tieren und Pflanzen bestehen aus vielen, ganz unterschiedlich großen Molekülen, zeigen alle Diffusion, zeigen alle andauernde thermische Bewegung, zeigen hydrodynamische Viskosität. Sie sind also den Einsteinschen, 1905 gefundenen Gesetzmäßigkeiten unterworfen - müssen also auch zitiert werden.
W: Und woran liegt es nun, dass die Brownsche Bewegung nicht mit der Zeit aufhört?
G: Weil sie Teil und Indikator der ewigen atomaren Wärmebewegung ist. "Wärme" ist ja nichts anderes als Bewegungsenergie der Moleküle, wie klein oder groß sie sein mögen. Die thermische Energie eines jeden Moleküls ist gleich, weil sie alle miteinander in Kontakt stehen. Und sie ist proportional zur Masse und dem Geschwindigkeitsquadrat. Deshalb ist die Geschwindigkeit zwar umso kleiner, je größer die Masse ist, aber Bewegung ist stets vorhanden. Alles stößt sich gegenseitig.
Brownsche Teilchen sind im Mittel langsamer als ihre kleinen Brudermoleküle, aber sie können sich allesamt nicht zur Ruhe setzen. Durch die dauernden Stöße kommt es zu der erwähnten mittleren Verschiebung. Kühlt man ab, geht alles gemächlicher zu. Aber so wenig man den absoluten Nullpunkt erreichen kann, so wenig kann man die Bewegung anhalten! Bei endlicher Temperatur bewegt sich alles immer, hört also nie auf.
Abbildungen: - Titelseite der Arbeit 1905 aus den Annalen der Physik
- Brownsche Teilchen in einer Flüssigkeit im Gravitationsfeld (cf. "Physics World" Jan. 05 p.21
- Diffusion in einem Biosystem (Zelle)
((erscheint in Spektrum d. Wiss , Juni 2005. Wird dort vorher redaktionell bearbeitet und ggf. gekürzt.))