Double pulsar

Tödlicher Tango

Nicht weit von uns ist sich ein Neutronenstern-Paar auf seiner Todesspirale schon ziemlich nahe gekommen. Seine Entdeckung lässt die Chancen drastisch steigen, Gravitationswellen aus der Verschmelzung solcher Sterne nachzuweisen.

Von Georg Wolschin

Wenn zwei kompakte, massereiche Himmelskörper - zum Beispiel Neutronensterne oder Schwarze Löcher - in einer kosmischen Pirouette umeinanderwirbeln, sind Astronomen und Theoretische Physiker gleichermaßen fasziniert. Denn wegen der starken Gravitationsfelder der beiden Partner bietet ein solches Binärsystem ideale Bedingungen zum Test eines der bedeutendsten Gedankengebäude des 20. Jahrhunderts: Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie. Schon 1916 sagte ihr Schöpfer voraus, dass umeinander rotierende Körper hoher Masse periodische Verzerrungen im Netz der Raumzeit hervorrufen müssten, die sich wellenförmig ausbreiten (Spektrum der Wissenschaft 12/2000, S. 48). Doch die Entdeckung dieser elusiven Gravitationswellen ließ auf sich warten.

Erst 62 Jahre später lieferten Russell A. Hulse und Joseph H. Taylor von der Universität von Massachusetts in Amherst mit dem 300-Meter-Radioteleskop in Arecibo auf Puerto Rico eine indirekte Bestätigung. Sie hatten lange Zeit akribisch die Umlaufperiode des Pulsars PSR B1913+16 um einen Begleitstern verfolgt und dabei festgestellt, dass sich die beiden Körper immer enger und schneller umeinander bewegten. Ursache war offenbar der Energieverlust durch die Abstrahlung von Gravitationswellen: Der Effekt stimmte sehr genau, nämlich auf etwa 0,5 Prozent, mit der Vorhersage der Allgemeinen Relativitätstheorie überein.

Obwohl Taylor und Hulse für ihre Entdeckung 1993 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet wurden, wäre es natürlich ein noch größerer Erfolg, die abgestrahlten Gravitationswellen direkt nachzuweisen. Deren Frequenz müsste dafür allerdings groß genug sein, um in den Messbereich der vier terrestrischen Gravitationswellen-Interferometer Geo600 (Deutschland), Tama (Japan), Virgo (Italien) oder Ligo (USA) zu fallen, die inzwischen den Betrieb aufgenommen haben. Bei PSR B1913+16 wird das erst in etwa 320 Millionen Jahren der Fall sein - kurz bevor die beiden Sterne miteinander verschmelzen.

Nun hat jedoch eine internationale Astronomengruppe mit dem 64-Meter-Parkes-Radioteleskop in Australien einen Doppel-Neutronenstern entdeckt, dessen Todesspirale schon deutlich enger verläuft als beim Hulse-Taylor Pulsar (Nature, Bd. 426, S. 531). Mit einer Bahnperiode von 2,4 Stunden und einem mittleren Abstand von ungefähr dem Doppelten der Entfernung Erde-Mond kreisen die beiden Partner etwa dreimal so schnell wie bei PSR B1913+16 umeinander, so dass die Verschmelzung schon in 85 Millionen Jahren erwartet wird. Zwar dürften auch das die wenigsten heutigen Astronomen noch erleben, aber die Entdeckung erhöht die statistische Wahrscheinlichkeit, dass schon relativ bald ein anderer, bisher unbekannter Doppelpulsar fusioniert und seine Gravitationswellen in den vier genannten Interferometern registriert werden: Ging man bisher von einer direkt nachweisbaren Verschmelzung in zehn bis zwanzig Jahren aus, reduziert sich diese Zeitspanne nun auf ein bis zwei Jahre (Bild (2)).

Beobachtungen einer internationalen Astronomengruppe mit dem 76-Meter-Lovell-Radioteleskop des Jodrell Bank Observatoriums der Universität Manchester (A.G. Lyne et al., Science 303, 1153 (2004); weitgehend dieselbe Arbeitsgruppe wie bei der Entdeckung des ersten Pulsars) haben ausserdem kürzlich gezeigt, dass der Begleitstern ebenfalls ein Pulsar ist und eine Periode von 2,8 Sekunden hat.

Es handelt sich demnach um das erste System, bei dem beide Neutronensterne als Pulsare identifiziert werden konnten; bei den anderen fünf Neutronen-Doppelsternen gibt es bisher nur indirekte Hinweise auf die Natur beider Sterne. Gängige Modelle für die Entwicklung von Neutronen-Doppelsternen sagen dabei voraus, dass der Pulsar mit der kürzeren Periode der Erstgeborene ist.

Die alten Schätzwerte für die Fusionsrate lagen vor allem deshalb so niedrig, weil Paare von zwei Neutronensternen oder auch Schwarzen Löchern etwas sehr Seltenes zu sein schienen. Zwar gehören mehr als die Hälfte aller gewöhnlichen Sterne zu Doppel- oder Mehrfachsystemen, aber Neutronensterne und stellare Schwarze Löcher sind Überreste von Supernova-Explosionen am Ende der stellaren Entwicklung, und bei solchen Ausbrüchen werden die früheren Partner in der Regel weggefegt oder zerstört. Deshalb kannten die Astronomen bis zur jetzigen Entdeckung insgesamt nur fünf Neutronen-Doppelsterne.

Bei zweien halten die Partner noch so viel Abstand, dass die Zeit bis zu ihrer Verschmelzung größer ist als das Alter des Universums von 13,7 Milliarden Jahren. Von den drei anderen wiederum befinden sich nur zwei in der galaktischen Scheibe; der dritte tummelt sich im Außenbereich eines Kugelsternhaufens im galaktischen Halo und trägt sehr wahrscheinlich wenig zur Fusionsrate innerhalb der Milchstraße bei. Diese wird hauptsächlich von dem Objekt mit der kürzesten Restlebensdauer (bisher PSR B 1913+16) bestimmt - und schnellt durch die jetzige Entdeckung deshalb dramatisch in die Höhe.

Bei der revidierten Abschätzung spielt aber auch eine Rolle, dass der neue Neutronen-Doppelstern, der zugleich ein Millisekunden-Pulsar ist und deshalb den Namen PSR J0737-3039 erhielt, ein wesentlich schwächeres Radiosignal aussendet als der von Hulse und Taylor untersuchte. Dass er trotzdem entdeckt wurde, liegt vor allem an seiner zehnmal geringeren Entfernung von unserem Sonnensystem, die nur knapp 2000 Lichtjahre beträgt. Sehr wahrscheinlich sind also viele ähnliche Objekte bisher übersehen worden, weil die Astronomen gewöhnlich nur unter den genügend intensiven Radioquellen nach Neutronen-Doppelsternen suchen.

Sollte tatsächlich alle ein bis zwei Jahre eine Verschmelzung stattfinden, hätte die heutige Forschergeneration bereits realistische Aussichten auf den direkten Nachweis der lang gesuchten Gravitationswellen. In jedem Fall wird sich mit den jetzt vorhandenen Interferometern schon nach wenigen Betriebsjahren sagen lassen, ob die revidierte Fusionsrate und die zu Grunde liegenden Annahmen über die Anzahl der Neutronen-Doppelsterne in der Galaxis - zusammen mit der Anzahl der Galaxien innerhalb der Reichweite der Instrumente - stimmen oder ob vielleicht sogar - was niemand ernsthaft erwartet, aber mancher ehrgeizige Jungforscher insgeheim erhoffen mag - der große Einstein irrte.

Dem Heroen der modernen Physik wird aber noch auf andere Art auf den Zahn gefühlt. PSR J0737-3039 kreist nämlich nicht nur sehr schnell, sondern auch auf einer exzentrischen Bahn um seinen Partner. Damit eignet sich der Pulsar auch zum Test von weniger spektakulären Voraussagen der Allgemeinen Relativitätstheorie. Einige dieser relativistischen Effekte sind zwar schon durch Messungen im Sonnensystem bestätigt worden, sollten bei Neutronen-Doppelsternen aber wesentlich deutlicher ausfallen als bei Planeten. Das gilt vor allem für die Vorhersage, dass sich die Achse der elliptischen Bahn langsam in ihrer Ebene dreht, wodurch sich das Periastron, der Zeitpunkt größter Annäherung der beiden Sterne, mit jedem Umlauf ein wenig verschiebt.

Das bekannteste Gegenstück im Sonnensystem ist die Periheldrehung des Merkur: die allmähliche Drift des sonnenächsten Punktes auf der Bahn des innersten Planeten. Ihre Erklärung durch die Allgemeine Relativitätstheorie trug einst wesentlich zu deren Durchbruch bei. Beim Hulse-Taylor-Pulsar rotiert die Bahnachse immerhin schon 36|000mal so schnell wie beim Merkur - erneut in Einklang mit Einstein. Beim jetzt entdeckten System steigt dieser Wert nochmals auf das Vierfache: Die gemessene Periastron-Verschiebung beträgt mehr als 16 Grad pro Jahr.

Bei dem neuerlichen Test erweist sich die größere Nähe des Systems als Vorteil. Dadurch erhöht sich die Genauigkeit der Messungen. Zusätzlich aber verliert die Eigenrotation der Milchstraße, die als Korrekturglied in das Messergebnis eingeht und dessen Präzision entscheidend beeinflusst, mit sinkendem Abstand an Bedeutung. Das betrifft auch drei weitere Voraussagen der Allgemeinen Relativitätstheorie wie die so genannte geodätische Präzession, die bei anderen Systemen bisher nur ungenau bestimmt werden konnte. PSR J0737-3039 bietet sich somit als viel versprechendes kosmisches Labor an, in dem sich subtile theoretische Voraussagen für hochrelativistische Systeme mit bisher unerreichter Präzision testen lassen. Vielleicht werden sogar winzige Effekte erstmals nachweisbar, die der Messung bisher völlig unzugänglich waren.

Georg Wolschin lehrt an der Universität Heidelberg Theoretische Physik und ist Wissenschaftsjournalist.

((Bild 1)) Bei der Annäherung und Verschmelzung zweier Neutronensterne verzerren diese im Takt ihrer Rotation umeinander die Raumzeit und strahlen Gravitationswellen entsprechender Frequenz aus. Dargestellt sind einzelne Stadien dieses Vorgangs, wie sie sich aus einer Simulation ergeben. Dabei ist jeweils nur ein Schnitt durch die Achse des Systems abgebildet. Die Farben zeigen, von blau nach rot steigend, die Materiedichte an. Die durchsichtige "Zellophan"-Hülle veranschaulicht die Emission der Gravitationswellen.

((Bild 2)) Die mutmaßliche Verschmelzungsrate von Neutronen-Doppelsternen (durchgezogene Kurve) hat sich mit der Entdeckung von PSR J0737-3039 gegenüber früheren Abschätzungen (gestrichelte Kurve) deutlich erhöht. Dadurch dürfte es wesentlich früher gelingen, hochfrequente Gravitationswellen, die während der Fusion ausgesandt werden, mit terrestrischen Interferometern wie Geo600 nachzuweisen.

Quelle: Figure 2 in M. Burgay et al., Nature 426, Seite 531 (4. Dezember 2003).

Siehe Spektrum d. Wissenschaft XY (2004) für den redigierten und illustrierten Artikel.

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