Year of Physics

Relativität, Quantentheorie, und Große Vereinigung

Das folgende Gespräch mit Hermann Nicolai vom Albert-Einstein-Institut in Potsdam zum diesjährigen Unesco-Weltjahr der Physik beginnt bei Einsteins speziell-relativistischen Arbeiten aus dem Jahre 1905 und der Quantenmechanik, und führt über seine späteren allgemein-relativistischen Arbeiten hin zur modernen Forschung über die große Vereinigung von relativistischer Gravitationstheorie und Quantentheorie.

Im Jahre 1916 erschien Albert Einsteins fundamentale Arbeit zur allgemeinen Relativitätstheorie (ART) in den Annalen der Physik. Er hatte damit als erster Wissenschaftler nach Newton eine völlig neuartige Theorie der Gravitation gefunden. Könnten Sie die grundlegenden Prinzipien dieser Theorie darstellen?

Nicolai: Es fing eigentlich bereits 1905 an mit der speziellen Relativitätstheorie und dem Wunsch Einsteins, die Newtonsche Gravitation, oder die Gravitation überhaupt, mit der speziellen Relativitätstheorie sozusagen zusammenzubauen, denn er hatte schon 1905 gemerkt, dass dies nicht zusammen passt. Es hat dann zehn Jahre gedauert, bis er schließlich dieses Problem gelöst hat ­ und zwar, indem er die Annahmen, die in die spezielle Relativitätstheorie eingehen, grundlegend erweitert hat dahingehend, dass er nicht mehr annimmt, dass Raum und Zeit flach sind. Die zentrale Aussage der allgemeinen Relativitätstheorie ist nun die, dass die Gravitation sich als ein Effekt der Krümmung von Raum und Zeit verstehen lässt.

Wolschin: Die ART ist auch heute noch, also fast hundert Jahre später, die gültige Gravitationstheorie, hat aber das Problem, keine Quanteneffekte zu berücksichtigen. Nun werden solche Effekte oft wichtig, wenn die Gravitationsfelder sehr stark sind, beispielsweise unmittelbar nach dem Urknall, oder in der Umgebung von schwarzen Löchern ­ die Hawking-Strahlung aus schwarzen Löchern ist ein solches Beispiel für Quanteneffekte. Man versucht deshalb seit geraumer Zeit, diese beiden zunächst unvereinbaren Theorie miteinander zu »versöhnen«. Welche prinzipiellen Ansätze gibt es heute auf diesem Weg?

N: Zunächst möchte ich sagen, dass es eine der größten Herausforderungen für die theoretische Physik überhaupt ist, sicher eine Aufgabe für das 21. Jahrhundert, die Quantentheorie und die allgemeine Relativitätstheorie zusammenzubringen. Ich möchte nochmals daran erinnern, dass beide Theorien in ihren gegenwärtig bekannten Formen nach wie vor nicht zusammen passen, und dass man in irgend einer Art und Weise darüber hinausgehen muss, um das Ganze sinnvoll zu machen. Es gibt mehrere Ansätze dazu, und zwei davon ragen heraus. Der eindeutig führende Kandidat ist die Stringtheorie, welche postuliert, dass die Einsteinsche Theorie selbst nicht fundamental ist, sondern es noch eine weitere Theorie dahinter gibt, aus der die ART als effektive Näherung herauskommt.

W: Was ist der Ausgangspunkt der Stringtheorie?

N: Das ist die Beobachtung, dass die unsinnigen Resultate, die man erhält, wenn man die üblichen Methoden der Quantenfeldtheorie auf die Einstein-Theorie loslässt, nur vermieden werden können, wenn man eine solche radikale Modifikation der Einsteinschen Theorie durchführt. Die Stringtheorie ist eine solche radikale Modifikation: Sie postuliert, dass die fundamentalen Konstituenten der Materie keine punktförmigen Anregungen oder Teilchen mehr sind, sondern fadenförmige Anregungen ­ Strings. Analysiert man nun das Anregungsspektrum dieser Strings, so kommt unter anderem eine Elementarteilchenanregung heraus, die genau die Eigenschaften des Gravitons hat, des Trägerteilchens der Gravitation.

W: In diesem Sinn enthält also die Stringtheorie die Gravitation.

N: Ja. Man kann vielleicht sogar fast sagen: Die Stringtheorie sagt die Existenz der Gravitation voraus, aber eben darüber hinaus noch sehr viel mehr. Man hofft deshalb, auf diese Weise eine Vereinigung sämtlicher bekannter physikalischer Gesetze zu erreichen, insbesondere eine Vereinigung der ART mit dem Standardmodell der Elementarteilchenphysik zu erreichen.

W: In diesem Standardmodell sind ja bereits drei der heute bekannten vier Wechselwirkungen vereinigt ­ starke, schwache und elektromagnetische Wechselwirkung, und diese Vereinigung im Rahmen der sogennanten Quantenfeldtheorien war und ist höchst erfolgreich. Insbesondere hat sie sehr präzise Voraussagen für experimentelle Tatbestände ermöglicht, beispielsweise die Voraussage, dass die schwache Wechselwirkung durch die intermediären Vektorbosonen W und Z übertragen wird, und wie groß deren Massen sind. Diese Teilchen hat man dann bei den vorhergesagten Massen 1983 am Cern in Genf mit einem eigens dafür gebauten Proton-Antiproton Collider gefunden. Nun möchte man derartige Voraussagen bei einer vereinigten Theorie wie der Stringtheorie, oder der Loop-Quantengravitation im Grenzfall niedriger Energien sicherlich erhalten. Ist das gewährleistet?

N: Was Sie da ansprechen, ist eines der großen ungelösten Probleme. Die Stringtheorie hat zumindest das Potenzial, den Niederenergie-Sektor zu erklären. Wenn man die Strings kompaktifiziert (beispielsweise die Theorie von 10 auf 4 Raumzeit-Dimensionen reduziert), kommt jeweils eine bestimmte Niederenergie-Welt dabei heraus. In manchen Fällen ähnelt sie der Struktur, die wir kennen, die also dem Standardmodell der starken und elektroschwachen Wechselwirkung entspricht. Das Problem der Stringtheorien ist, dass es zu viele Möglichkeiten gibt ­ darunter auch solche, die mit unserer Welt, wie wir sie kennen, überhaupt nichts zu tun haben.

W: Wie ist es bei der Loop-Quantengravitation?

N: Dort ist das Problem vielleicht sogar noch größer, denn diese Theorie hat gar nicht den Ehrgeiz, eine Vereinheitlichung zwischen Einstein und dem Standardmodell herbeizuführen. Sie geht vielmehr von der Hypothese aus, dass Einsteins Theorie allein für sich schon konsistent ist, und steht damit im Widerspruch zur Ausgangshypothese der Stringtheoretiker. Die Schleifen-Quantengravitation macht keinerlei Aussage über das Niederenergie-Spektrum der Elementarteilchen. Auch hat sie große Schwierigkeiten zu erklären, wie eine glatte Raumzeit überhaupt zu Stande kommt, wie also die bekannte Einsteinsche Theorie als Näherung herauskommt, die dann durch Terme korrigiert wird, die den Quanteneffekten entsprechen.

W: Stringtheorien werden in der Regel in zehn Dimensionen formuliert, von denen dann sechs aufgerollt - kompaktifiziert - werden, um zur normalen Minkowskischen vierdimensionalen Raumzeit zu kommen. Wie weit ist man inzwischen bei der Klärung der Frage, warum ausgerechnet sechs Dimensionen aufgerollt werden müssen?

N: Bei den Stringtheorien wird die Kompaktifizierung von zehn auf vier Dimensionen nicht unbedingt von der Theorie selbst vorhergesagt; es gibt sehr viele andere Möglichkeiten ­ so kann die Theorie auch für alle Zeiten in zehn Dimensionen weiterleben. Das ist ein etwas unbefriedigender Zug. Andererseits gibt es auch eine nichtperturbative Erweiterung der Stringtheorie, die sogenannte M-Theorie, bei der man vermutet, dass sie in elf Dimensionen lebt. Die umfassendste Feldtheorie, die man kennt, ist auch eine solche 11dimensionale Theorie., die Supergravitationstheorie. Sie sagt nun interessanterweise eine bevorzugte Kompaktifizierung auf vier Dimensionen voraus.

W: Das ist eine inhärente Eigenschaft der Theorie?

N: Ja, und man was weiss das in diesem Fall schon seit mehr als 20 Jahren. Nur ist es damals und bis heute nicht gelungen, die Kompaktifizierung so einzurichten, dass sie mit dem Standardmodell der Elementarteilchenphysik zusammen passt. Die Stringtheorie ist zunächst einen ganz anderen Weg gegangen; dort kommt man dem Standardmodell näher, vor allem auch in Bezug auf die Händigkeit der Teilchen. Aber es gibt dort in der Frage der Kompaktifizierung eine gewisse Beliebigkeit. Insofern gibt es hier keine wirklichen Fortschritte, man kann aber sagen, dass die Zahl der Möglichkeiten, zum Standardmodell zu kommen, in den Stringtheorien noch gewachsen ist seit der Einführung der sogenannten D-Branen.

W: Wie wird die Dimensionsfrage in der Loop-Quantengravitation behandelt, die eine diskontinuierliche Raumzeit postuliert?

N: Diese Theorie funktioniert überhaupt nur in vier Dimensionen; sie geht davon aus, dass die Einstein-Theorie so wie sie ist ­ in vier Dimensionen ­ fundamental ist.

W: In der ursprünglichen Einsteinschen Theorie kam zunächst auch das kosmologische Glied vor, mit dessen Hilfe wir neuerdings die 1998 erstmals beobachtete beschleunigte Expansion des Universums zu erklären versuchen. Es ist demnach zwar von Null verschieden, aber bei weitem nicht so groß, wie man es beispielsweise aus der Vakuumenergie berechnen würde. Sehen Sie in den vereinigten Theorien und insbesondere den String-Theorien eine Möglichkeit, die kosmologische Konstante zu bestimmen?

N: Die Berechnung von Lambda ist zweifellos ein sehr schwieriges Problem. Zunächst muss festgestellt werden, ob die Stringtheorie überhaupt kompatibel damit ist ­ sie hat nämlich große Schwierigkeiten mit einer positiven kosmologischen Konstante, während eine negative Konstante sowohl mit der Stringtheorie als auch mit der Supergravitation verträglich ist.

W: Zur Erklärung der beschleunigten Expansion des Universums muss Lambda aber positiv sein ­

N: Ja; eines unter mehreren Problemen ist dabei, dass die Stringtheorie supersymmetrisch sein muss, und es ist sehr schwierig, die Supersymmetrie unter einen Hut zu bekommen mit einer positiven kosmologischen Konstante. Genauer gesagt: Supersymmetrie passt nicht zu einer positiven kosmologischen Konstante, sondern nur zu einer negativen. Die Supersymmetrie muss deshalb in geeigneter Weise gebrochen werden.

W: Stringtheorien ohne Supersymmetrie sind nicht gangbar?

N: Doch, es gibt sehr wohl nicht-supersymmetrische Stringtheorien ­ nur sind die leider alle mit irgendwelchen Krankheiten behaftet. In der Regel äussert sich das in der Existenz von Tachyonen (Teilchen mit Überlichtgeschwindigkeit). Das war auch ein Grund, weshalb man die ursprüngliche bosonische Stringtheorie verworfen hat ­ nicht nur wegen ihrer 26 Dimensionen. Der große Vorteil der Supersymmetrie ist, dass sie die Tachyonen vermeidet. Wenn man nun die Supersymmetrie brechen will ist das sehr schwierig, weil das Tachyon durch die Hintertür wieder hereinkommt. W: Wie ist das Verhältnis von Supersymmetrie als einer Symmetrie zwischen Bosonen und Fermionen zur Loop-Quantengravitation?

N: Die Loop-Quantengravitation hat eigentlich auch zu dem Thema nichts zu sagen, weil die Fermionen da zunächst mal überhaupt keine Rolle spielen.

W: Bleiben wir noch einen Moment bei den supersymmetrischen Teilchen. Die Suche danach ist ­ neben der Suche nach dem Higgs-Boson, das für die Massenerzeugung zuständig ist ­ eines der wesentlichen Forschungsprogramme für den neuen Collider LHC am Cern in Genf, der 2007 in Betrieb geht. Können Sie aus Ihrer Warte als Theoretiker einen Hinweis geben, wie gut die Aussichten sind, solche Teilchen zu finden?

N: Die Aussichten sind nach meiner Überzeugung hoffentlich sehr gut. Was für Teilchen das genau sein werden, ist aber noch nicht so klar. Ich sehe das so: Die theoretische Physik hat in den letzten 20 Jahren ein enormes Arsenal an Modellen und Theorien zusammengetragen. Darunter hat die Supersymmetrie eine ganz hervorgehobene Stellung; ich denke, wir müssen jetzt einfach das Experiment entscheiden lassen, was davon richtig ist. Dazu müssen wir mindestens bis 2008 warten.

W: Sehen Sie prinzipielle Möglichkeiten, experimentelle Anzeichen für die Gültigkeit von Stringtheorie einerseits und Loop-Quantengravitation andererseits zu finden ­ mit Teilchenbeschleunigern, im astrophysikalischen Bereich, oder durch genaue Messung der Gravitationswechselwirkung im Submillimeter-Bereich?

N: Ja, da gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten. Dabei kann jedoch die Loop-Quantengravitation nichts über Beschleunigerexperimente sagen. Die Superstringtheorien und supersymmetrische Feldtheorien machen ganz klare Aussagen, dass da etwas passieren könnte, und wenn man ein supersymmetrisches Teilchen findet, dann wäre das ein wichtiger und aufregender Hinweis auf neue Physik. Im Elementarteilchenbereich hat eigentlich nur die Superstringtheorie Chancen , »gesehen« zu werden. Im astrophysikalischen Bereich ist es ein bißchen anders, aber auch hier hat die Stringtheorie möglicherweise was zu sagen. So hat es in den letzten Monaten einige Aufregung gegeben über die theoretische Möglichkeit, kosmische Strings zu entdecken. Sie können in bestimmten Situationen Bursts von Gravitationswellen abgeben, die man mit den Gravitationswellen-Detektoren registrieren können müsste. Man kann darüber spekulieren, wie wahrscheinlich das ist.

W: Einige Exponenten der Loop-Quantengravitation machen den Vorschlag, die Dispersion der Strahlung von Gamma-Burstern genau zu messen und nach Abweichungen von der normalen Relation für Photonen zu suchen. Wären solche Abweichungen Ihrer Meinung nach ein eindeutiges Signal für die Gültigkeit gerade dieser Theorie?

N: Diese Leute diskutieren im wesentlichen eine ad-hoc Modifikation der Dispersionsrelation, welche die Lorentz-Invarianz verletzt. Aber selbst wenn das so wäre, könnte man wahrscheinlich eine Unzahl von Mechanismen finden, die das erklären ­ dazu braucht man nicht notwendig die Quantengravitation. Meiner Meinung nach wird man auf diese Art und Weise nicht beweisen können, dass eine besteimmte Theorie richtig ist. Ich stehe mehr auf dem Standpunkt, dass die Theorie erstmal mit theoretischen Methoden den Beweis ermöglichen muss, dass sie wirklich bis ins letzte mathematisch konsistent ist, und auch physikalisch sinnvoll.

W: Wo sind denn die Schwerpunkte der theoretischen Forschung auf den besprochenen Gebieten ­ einerseits natürlich hier am Einstein-Institut, aber wo sind sie international?

N: In den USA sind die Gebiete sehr deutlich getrennt. Dort hat die Stringtheorie ein großes Übergewicht an Universitäten wie Harvard, Princeton, Stanford oder Berkeley. Loop-Quantengravitation wird zentral eigentlich nur an der Penn State-Universität , und dann auch in Kanada vorangetriebn. Es gibt dort sehr wenig Kommunikation zwischen den Gebieten, auch keine gemeinsamen Konferenzen. Das ist bei uns etwas anders; wir haben beide Richtungen am Institut, und im Jahr 2003 hatten wir eine Konferenz »Strings meet Loops«, die einiges Aufsehen erregt hat.

W: Gibt es neben diesen beiden Hauptrichtungen zur Vereinigung der Gravitation mit den Standardmodell-Wechselwirkungen noch andere, vielleicht exotischere Denkrichtungen, die auch erfolgversprechend sind?

N: Es gibt noch eine ganze Menge anderer Ansätze, die aber nicht so prominent sind. Beispielsweise den Pfadintegral-Formalismus, oder auch weitergehende Ideen bei denen man mit einer bestimmten Vorstellung über Raum und Zeit anfängt, die nicht-kommutativ sein kann. Wenn sich diese Modelle aber in keiner Weise an die Einstein-Theorie einerseits und das Standardmodell andererseits anbinden lassen, bleiben sie häufig Glasperlenspiele.

W: Was ist nach Ihrer Meinung der vielversprechendste Kandidat für eine vereinigte Theorie?

N: Da hat jeder sein persönliches Vorurteil. Hier am Institut untersuchen wir sehr stark die Frage, was eigentlich M-Theorie ist, und was die Symmetrien einer solchen Theorie sind.

Abbildungen: - Titelseite SRT-Arbeit 1905 und/oder ART-Arbeit 1916 aus den Annalen der Physik

- gekrümmter Raum in der Gegenwart großer Massen

- Strings

- LHC

Siehe Spektrum d. Wissenschaft 5 (2005) für den redigierten und illustrierten Artikel.

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