Wir wollen untersuchen, wie die Komponenten des
festen physikalisch gegebenen Vektors
, falls
erforderlich repräsentiert durch
, sich ändern, wenn wir das
Koordinatensystem den vier in Abschnitt 9.1.4 ausgewählten speziellen typischen
Transformationen unterwerfen.
Wir beginnen mit den:
1) TRANSLATIONEN (VERSCHIEBUNGEN): z.B. um 1 in 3-Richtung:
Zunächst beschäftigt uns wieder die Willkür bei der Wahl des Ursprungs: Wie
sähen die Komponenten unseres Vektors aus, wenn wir statt des Punktes
einen anderen Punkt, z.B.
als
Nullpunkt gewählt hätten, der um die Strecke
in
positiver
3-Richtung verschoben ist? Mit Hilfe unserer Ergebnisse aus 9.1.4.1 erhalten wir:
Da sich die Translationsterme von Anfangs- und Endpunkt des Repräsentanten in der Differenz herausheben, erhalten wir (wegen der freien Verschiebbarkeit in der Vektordefinition nicht unerwartet), die Translationsinvarianz der Vektoren, d.h. die willkürliche Wahl des Nullpunkt unseres Koordinatensystems hat keine Konsequenzen für die Vektorkomponenten.
Damit ist auch die Länge der Vektoren eine Translationsinvariante:
Nicht alle in der Physik vorkommenden vektorartigen Größen sind jedoch translationsinvariant und nicht in jedem physikalischen Problem, z.B. die Kräfte, die an einem starren Körper außerhalb des Schwerpunkts angreifen oder auch die Feldstärke eines inhomogenen elektrischen Feldes. Die Physiker sprechen dann von "gebundenen Vektoren". In solchen Fällen muß vor der Anwendung der Vektoralgebra, die wir in den nächsten Abschnitten entwickeln werden, jeweils genau überlegt werden, inwieweit die erreichten Ergebnisse angewendet werden können.
Als zweites Beispiel untersuchen wir die
2) DREHUNGEN (ROTATIONEN), z.B. um den Winkel um die 3-Richtung:
Bei gleichbleibendem Ursprung betrachten wir dazu wieder
außer unserem alten Koordinatensystem
wie im Bild 9.5 ein neues
, das z.B.
um einen Winkel
in positiver Richtung gesehen im
Uhrzeigersinn um die 3-Achse gedreht wurde, und erhalten (etwa mit dem
Repräsentanten
):
Für das Gesetz, nach dem man die neuen Koordinaten aus den alten berechnet, bietet die Mathematik eine Schreibweise an, die den meisten von Ihnen aus der Schule bekannt ist: die Matrix-Schreibweise:
Man schreibt dazu die drei Transformationsgleichungen in folgender Form untereinander und ergänzt durch Nullen:
Die Faktoren, die man benötigt, um die neuen Komponenten aus den
alten
zu erhalten, werden in folgender
-Matrix
zusammengefaßt:
mit den Matrixelementen für
wobei der
Index
die (waagrechten) Zeilen zählt und
die (senkrechten) Spalten. Z.B. ist
Wenn wir statt der einzelnen Matrixelemente das
ganze Schema der Matrix mit den neun Elementen meinen, verwenden wir
fett gedruckte Großbuchstaben
. Die drei Gleichungen zur
Berechnung der neuen Koordinaten aus den alten erhält man in dieser neuen
Schreibweise durch folgende Vorschrift einer verallgemeinerten
Multiplikation für
:
Beim letzten Term wurde die Einsteinsche Summenkonvention verwendet.
Diese erlaubt es, das Summenzeichen immer dann wegzulassen, wenn zwei
gleichlautende Indizes, hier die zwei Indizes ,
auftreten und die Summation über
auch ohne explizites
Summenzeichen signalisieren.
Danach erhält man den Spaltenvektor der Komponenten im gedrehten Koordinatensystem, indem man den Spaltenvektor der Komponenten im alten System von links mit der Drehmatrix "multipliziert":
Man denkt sich dazu am einfachsten den Spaltenvektor transponiert Zeile für Zeile über die Drehmatrix geschoben, multipliziert die aufeinanderliegenden Terme und addiert.
Aufgabe 9.6: Spezielle Vektoren im gedrehten Koordinatensystem Wie lauten die Komponenten der Vektoren |
Aufgabe 9.7: Änderung der Vektorkomponenten bei speziellen Drehungen des Koordinatensystems Wie ändern sich die Komponenten |
In der Matrixform kann man sich die Transformationsgleichungen besonders leicht
merken: Die 1 steht an der Stelle , weil die 3-Achse als Drehachse
bei der Drehung unberührt bleibt, und die 1-2-Ebene wird um den Winkel
gedreht. Auch die Erweiterung auf Drehungen um die beiden anderen
Achsen ist damit leicht möglich: z.B. muß bei der Drehung
um
um die 1-Achse sicher das Matrixelement
sein und
die 2-3-Ebene wird gedreht:
d.h. dass und
.
Aufgabe 9.8: Drehungen um die 2-Achse Machen Sie sich durch eine Skizze ähnlich unserer Abbildung 9.5 klar, dass die Koordinaten eines Punktes
![]() d.h. dass |
Man sieht daraus, dass man die Transformationsformeln für die drei Drehungen ohne viel Rechnung auseinander erhält, indem man einfach die Indizes zyklisch (d.h. im Kreise) ersetzt, d.h. 1 durch 2, 2 durch 3 und 3 durch 1:
Bild 9.9: Zyklische Ersetzung
Aufgabe 9.9: Spezielle Drehmatrizen Berechnen Sie folgende Drehmatrizen: |
Die Transformationsformel für die Komponenten eines Vektors bei Drehungen des Koordinatensystems ist ein wichtiges Charakteristikum der Vektoren, so dass manchmal Vektoren sogar einfach definiert werden als Größen, deren drei Komponenten sich bei Drehungen des Koordinatensystems in der angegebenen Weise ändern. In der Tat: Wenn ein Physiker feststellen will, ob eine dreikomponentige Größe ein Vektor ist, misst er deren Komponenten in zwei zueinander gedrehten Koordinatensystemen und untersucht, ob die Messergebnisse sich mit Hilfe der entsprechenden Drehmatrix ineinander überführen lassen.
Wir untersuchen noch das Drehverhalten der Länge eines Vektors:
und finden, dass sie drehinvariant ist, wie wir das auch erwartet haben.
Als nächste Transformationen des Koordinatensystems behandeln wir die:
3) SPIEGELUNGEN, z.B. am Ursprung (Paritätstransfomation).
Wir betrachten wieder nur die Paritätstransformation, d.h. die Spiegelung am
Nullpunkt, die alle Koordinaten und damit auch alle Komponenten in ihr Negatives
überführt: Auch diese Transformation, die trivialerweise den Nullpunkt invariant
läßt , kann wieder durch eine Matrix
beschrieben werden, nämlich durch das Negative der
Einheitsmatrix, die wir auch mit
bezeichnen:
Damit erhalten wir für die Komponenten eines Vektors im gespiegelten System:
Man nennt alle Vektoren, deren Komponenten bei der
Spiegelung am Ursprung ihr Vorzeichen umkehren, polare Vektoren. Wieder
haben nicht alle in der Physik wichtigen Vektoren diese Eigenschaft. Wir werden
bald auf physikalische Vektoren stoßen, wie z.B. den Drehimpuls, die
paritätsinvariant sind. Diese werden wir axiale Vektoren nennen.
Bei alle Arten von Vektoren ist jedoch die Länge spiegelinvariant, denn in jedem Fall ist
Schließlich wenden wir uns zu den:
4) STRECKUNGEN (DILATATIONEN): speziell aller Achsen um einen gemeinsamen Faktor, z.B. 10:
Wir untersuchen wieder als Musterbeispiel die Maßstabsänderung von Zentimeter cm zu
Dezimeter dm, wobei die Koordinatenachsen unverändert bleiben und nur die
Maß-Punkte auf den Achsen verschoben werden, so dass
die Abstände vom Ursprung
sich vergrößern. Dabei verkleinern sich
die Maßzahlen der Vektorkomponenten. Die entsprechende Transformationsmatrix der
Streckung ist
:
Bei einer Maßstabsänderung bleibt natürlich kein Vektor invariant, und auch die
Maßzahl der Länge wird um den Faktor verkleinert:
Mit diesen Untersuchungen haben wir den schwierigsten Teil unserer Arbeit zum Verständnis der Vektoren geschafft. Jetzt können wir uns daran machen, zu studieren, wie man mit Vektoren rechnet, immer in Gedanken daran, dass es sich um Verschiebungen mit frei wählbarem Anfangspunkt handelt.
Es bleibt noch zu betonen, dass es natürlich auch physikalische Größen gibt, zu deren Festlegung jeweils nur eine einzige Meßgröße, also Zahl und Maßeinheit nötig ist, wie z.B. Masse, Ladung, Temperatur, Stromstärke, usw.. Man nennt diese Größen Skalare (oder mitunter auch Tensoren 0-ter Stufe) im Gegensatz zu den Vektoren (die ja gelegentlich auch Tensoren erster Stufe genannt werden) und noch komplizierteren physikalischen Größen, wie etwa dem Trägheitsmoment.