9 Vektoren

9.2 Vektoren als Verschiebungen

9.2.3 Transformationen des Koordinatensystems

Wir wollen untersuchen, wie die Komponenten math formula des festen physikalisch gegebenen Vektors math formula, falls erforderlich repräsentiert durch math formula, sich ändern, wenn wir das Koordinatensystem den vier in Abschnitt 9.1.4 ausgewählten speziellen typischen Transformationen unterwerfen.

Wir beginnen mit den:

1) TRANSLATIONEN (VERSCHIEBUNGEN): z.B. um 1 in 3-Richtung:

Zunächst beschäftigt uns wieder die Willkür bei der Wahl des Ursprungs: Wie sähen die Komponenten unseres Vektors aus, wenn wir statt des Punktes math formula einen anderen Punkt, z.B. math formula als Nullpunkt gewählt hätten, der um die Strecke math formula in positiver 3-Richtung verschoben ist? Mit Hilfe unserer Ergebnisse aus 9.1.4.1 erhalten wir:

math formula


Da sich die Translationsterme von Anfangs- und Endpunkt des Repräsentanten in der Differenz herausheben, erhalten wir (wegen der freien Verschiebbarkeit in der Vektordefinition nicht unerwartet), die Translationsinvarianz der Vektoren, d.h. die willkürliche Wahl des Nullpunkt unseres Koordinatensystems hat keine Konsequenzen für die Vektorkomponenten.

Damit ist auch die Länge der Vektoren eine Translationsinvariante:

math formula


Nicht alle in der Physik vorkommenden vektorartigen Größen sind jedoch translationsinvariant und nicht in jedem physikalischen Problem, z.B. die Kräfte, die an einem starren Körper außerhalb des Schwerpunkts angreifen oder auch die Feldstärke eines inhomogenen elektrischen Feldes. Die Physiker sprechen dann von "gebundenen Vektoren". In solchen Fällen muß vor der Anwendung der Vektoralgebra, die wir in den nächsten Abschnitten entwickeln werden, jeweils genau überlegt werden, inwieweit die erreichten Ergebnisse angewendet werden können.

Als zweites Beispiel untersuchen wir die

2) DREHUNGEN (ROTATIONEN), z.B. um den Winkel math formula um die 3-Richtung:

Bei gleichbleibendem Ursprung math formula betrachten wir dazu wieder außer unserem alten Koordinatensystem math formula wie im Bild 9.5 ein neues math formula, das z.B. um einen Winkel math formula in positiver Richtung gesehen im Uhrzeigersinn um die 3-Achse gedreht wurde, und erhalten (etwa mit dem Repräsentanten math formula):

math formula, math formula, math formula


Für das Gesetz, nach dem man die neuen Koordinaten aus den alten berechnet, bietet die Mathematik eine Schreibweise an, die den meisten von Ihnen aus der Schule bekannt ist: die Matrix-Schreibweise:

Man schreibt dazu die drei Transformationsgleichungen in folgender Form untereinander und ergänzt durch Nullen:

math formula


Die Faktoren, die man benötigt, um die neuen Komponenten math formula aus den alten math formula zu erhalten, werden in folgender math formula-Matrix math formula zusammengefaßt:

math formula


mit den Matrixelementen math formula für math formula wobei der Index math formula die (waagrechten) Zeilen zählt und math formula die (senkrechten) Spalten. Z.B. ist

math formula und
math formula, da die 1-2-Ebene gedreht wird,
math formula zum Zeichen, dass die 3-Achse unverändert bleibt, und
math formula.


Wenn wir statt der einzelnen Matrixelemente math formula das ganze Schema der Matrix mit den neun Elementen meinen, verwenden wir fett gedruckte Großbuchstaben math formula. Die drei Gleichungen zur Berechnung der neuen Koordinaten aus den alten erhält man in dieser neuen Schreibweise durch folgende Vorschrift einer verallgemeinerten Multiplikation für math formula:

math formula


Beim letzten Term wurde die Einsteinsche Summenkonvention verwendet. Diese erlaubt es, das Summenzeichen immer dann wegzulassen, wenn zwei gleichlautende Indizes, hier die zwei Indizes math formula, auftreten und die Summation über math formula auch ohne explizites Summenzeichen signalisieren.

Danach erhält man den Spaltenvektor der Komponenten im gedrehten Koordinatensystem, indem man den Spaltenvektor der Komponenten im alten System von links mit der Drehmatrix "multipliziert":

math formula


Man denkt sich dazu am einfachsten den Spaltenvektor transponiert Zeile für Zeile über die Drehmatrix geschoben, multipliziert die aufeinanderliegenden Terme und addiert.

Aufgabe 9.6: Spezielle Vektoren im gedrehten Koordinatensystem

Wie lauten die Komponenten der Vektoren math formula, math formula und math formula in einem Koordinatensystem math formula, das gegenüber dem ursprünglichen System math formula um math formula Lösung, math formula Lösung bzw. math formula Lösung um die 3-Richtung gedreht ist?



Aufgabe 9.7: Änderung der Vektorkomponenten bei speziellen Drehungen des Koordinatensystems

Wie ändern sich die Komponenten math formula eines Vektors math formula, wenn wir das Koordinatensystem speziell um den Winkel math formula Lösung oder math formula Lösung um die 3-Achse drehen?



In der Matrixform kann man sich die Transformationsgleichungen besonders leicht merken: Die 1 steht an der Stelle math formula, weil die 3-Achse als Drehachse bei der Drehung unberührt bleibt, und die 1-2-Ebene wird um den Winkel math formula gedreht. Auch die Erweiterung auf Drehungen um die beiden anderen Achsen ist damit leicht möglich: z.B. muß bei der Drehung math formula um math formula um die 1-Achse sicher das Matrixelement math formula sein und die 2-3-Ebene wird gedreht:

math formula


d.h. dass math formula und math formula.

Aufgabe 9.8: Drehungen um die 2-Achse  

Machen Sie sich durch eine Skizze ähnlich unserer Abbildung 9.5 klar, dass die Koordinaten eines Punktes math formula und folglich auch die Komponenten eines Vektors math formula sich bei der Drehung um die 2-Achse nach folgender Drehmatrix transformieren.

math formula


d.h. dass math formula und math formula. Lösung



Man sieht daraus, dass man die Transformationsformeln für die drei Drehungen ohne viel Rechnung auseinander erhält, indem man einfach die Indizes zyklisch (d.h. im Kreise) ersetzt, d.h. 1 durch 2, 2 durch 3 und 3 durch 1:

math formula
Bild 9.9: Zyklische Ersetzung

Aufgabe 9.9: Spezielle Drehmatrizen

Berechnen Sie folgende Drehmatrizen: math formula Lösung , math formula Lösung und math formula. Lösung



Die Transformationsformel für die Komponenten eines Vektors bei Drehungen des Koordinatensystems ist ein wichtiges Charakteristikum der Vektoren, so dass manchmal Vektoren sogar einfach definiert werden als Größen, deren drei Komponenten sich bei Drehungen des Koordinatensystems in der angegebenen Weise ändern. In der Tat: Wenn ein Physiker feststellen will, ob eine dreikomponentige Größe ein Vektor ist, misst er deren Komponenten in zwei zueinander gedrehten Koordinatensystemen und untersucht, ob die Messergebnisse sich mit Hilfe der entsprechenden Drehmatrix ineinander überführen lassen.

Wir untersuchen noch das Drehverhalten der Länge eines Vektors:

math formula


und finden, dass sie drehinvariant ist, wie wir das auch erwartet haben.

Einschub: Matrizen


Als nächste Transformationen des Koordinatensystems behandeln wir die:

3) SPIEGELUNGEN, z.B. am Ursprung (Paritätstransfomation).

Wir betrachten wieder nur die Paritätstransformation, d.h. die Spiegelung am Nullpunkt, die alle Koordinaten und damit auch alle Komponenten in ihr Negatives überführt: Auch diese Transformation, die trivialerweise den Nullpunkt invariant läßt math formula, kann wieder durch eine Matrix math formula beschrieben werden, nämlich durch das Negative der Einheitsmatrix, die wir auch mit math formula bezeichnen: math formula

Parität:       math formula


Damit erhalten wir für die Komponenten eines Vektors im gespiegelten System:

math formula


Man nennt alle Vektoren, deren Komponenten math formula bei der Spiegelung am Ursprung ihr Vorzeichen umkehren, polare Vektoren. Wieder haben nicht alle in der Physik wichtigen Vektoren diese Eigenschaft. Wir werden bald auf physikalische Vektoren stoßen, wie z.B. den Drehimpuls, die paritätsinvariant sind. Diese werden wir axiale Vektoren nennen.

Bei alle Arten von Vektoren ist jedoch die Länge spiegelinvariant, denn in jedem Fall ist

math formula


Einschub: Determinanten


Schließlich wenden wir uns zu den:

4) STRECKUNGEN (DILATATIONEN): speziell aller Achsen um einen gemeinsamen Faktor, z.B. 10:

Wir untersuchen wieder als Musterbeispiel die Maßstabsänderung von Zentimeter cm zu Dezimeter dm, wobei die Koordinatenachsen unverändert bleiben und nur die Maß-Punkte math formula auf den Achsen verschoben werden, so dass die Abstände vom Ursprung math formula sich vergrößern. Dabei verkleinern sich die Maßzahlen der Vektorkomponenten. Die entsprechende Transformationsmatrix der Streckung ist math formula:

math formula


Bei einer Maßstabsänderung bleibt natürlich kein Vektor invariant, und auch die Maßzahl der Länge wird um den Faktor math formula verkleinert:

math formula


Mit diesen Untersuchungen haben wir den schwierigsten Teil unserer Arbeit zum Verständnis der Vektoren geschafft. Jetzt können wir uns daran machen, zu studieren, wie man mit Vektoren rechnet, immer in Gedanken daran, dass es sich um Verschiebungen mit frei wählbarem Anfangspunkt handelt.

Es bleibt noch zu betonen, dass es natürlich auch physikalische Größen gibt, zu deren Festlegung jeweils nur eine einzige Meßgröße, also Zahl und Maßeinheit nötig ist, wie z.B. Masse, Ladung, Temperatur, Stromstärke, usw.. Man nennt diese Größen Skalare (oder mitunter auch Tensoren 0-ter Stufe) im Gegensatz zu den Vektoren (die ja gelegentlich auch Tensoren erster Stufe genannt werden) und noch komplizierteren physikalischen Größen, wie etwa dem Trägheitsmoment.